Andreas Montag, „Der Geruch des Ostens“, Quintus-Verlag, 120 Seiten, 20,00 Euro, ISBN: 978-3-96982-101-5
Andreas Montag, Jahrgang 1956, war jahrelang der Ressortleiter „Kultur“ der Mitteldeutschen Zeitung. Nun legt er die Erzählung „Der Geruch des Ostens“, erschienen im Quintus-Verlag, vor
Dieses Buch, zart und listig irreführend nennt es sich harmlos „Erzählung“, ist eine Wucht. Ein erhellender Schlag in die Fresse! Man kann sich ewig diese Politik-Talkshows anschauen, die mit feingeschliffener Theorie-Rhetorik, mit antrainiertem Kopfschütteln den Wahlerfolg der Autoritären, von AfD und BSW, zu erklären versuchen. Man kann sich beim Versuch einer rein rationalen Erklärung selbst ratlos zurücklassen. Kann man alles machen! Aber man kann auch zu Andreas Montags Büchlein „Der Geruch des Ostens“ greifen. Erleben wird man eine gnadenlose Reise in jene DDR-Welt, die in der Nachkriegszeit zutiefst traumatisiert war: Gewalt, Ruppigkeit, Schweigen, Bedürfnisse und Scham. Abkapseln und Wirsingkohl mit Kartoffelstückchen. Eine knappe Sonntagsrhetorik, die nichts erklärt, ein Festhalten an der Lehre vom ewigen Leben und der Verdammnis. Und irgendwo lodert es immer: Das Bedürfnis nach Sinn. All das greift nach autoritären Formeln. Gestern wie heute. „Befreit wie junge Hunde, die endlich nach der Wurst schnappen dürfen, werden die Erinnerungen von der Leine gelassen.“ Und die „echten“ Männer, die ihr Selbstwertgefühl nur in der Machtausübung über Andere fühlen können, springen von einer menschenverachtenden Ideologie in die nächste. Im Buch heißt es: „Immer brüllten sie, die kleinen Führer, die Erben der Nazis, die den Sozialismus vor dem Klassenfeind beschützen sollten.“ Überall diese tiefsitzenden (Kriegs-)Narben, körperliche und seelische. Haltungen und Verhalten, Prägungen und Sittencodes, Härte zu sich selbst und zu Anderen. So etwas lebt fort, mindestens bis in die Enkel-Generation. Mindestens! Montag, Jahrgang 1956 und aufgewachsen in Gotha, lässt seinen Protagonisten gereift und überlebt durch die Kraft der Sprache in seine alte Heimatstadt G. reisen. Und dann rollt es auf ihn zu. Erinnerungen: Die alten Gerüche und Begriffe, das ehemalige Körpergefühl als „spilleriger Kerl“ aus dem doch ein „echter“ Mann gemacht werden muss, der zum Mehlsuppe-Löffeln zur Kur geschickt wurde. Und dann nimmt ihn die Vergangenheit in Beschlag: Die alten Straßen und Wege, die Tränen der Mutter: „Wie er dieses Geflenne hasst. Es kann dir ein Ring aus fremden Tränen das Herz abschnüren.“ Dann kommt alles wieder hoch: Das Flackern der Zeitgeschichte, das Erwachen der Sexualität, die Erinnerungen an die Brutalität des Wehrdienstes: „Heul doch, du Bücherficker!“ Und dann nimmt es ihn in Beschlag: Die Grabesstille über die Judenverfolgung in der Nachbarschaft, über Kriegsverbrechen und die eigenen Opfer. Schwamm drüber! Die Erinnerungen werden losgelassen, befreit wie junge Hunde, die endlich nach der Wurst schnappen dürfen, stürzen sie los. Da die politische Desillusionierung in der DDR, dort die fortlebende Nazi-Sprache, die Homosexuelle „gleich ins Lager, wie bei Hitler“ stecken will, dort eine emotionale Verrohung, die sich einfach fortsetzt. Wie auch anders, wenn eine ganze Nation nach 1945 erst einmal eine lebenslange Therapie hätte machen müssen. Da ist kein Kraut gegen gewachsen. Das Autoritäre, das schmallippig Ruppige, das „echte“ Männliche lebt einfach in neuen -– jetzt roten – Formeln fort. „Abknallen, umlegen, erledigen, kaltmachen, es wimmelt in seiner Erinnerung von solchen Wörtern“, heißt es im Text. Der spießige Kleinbürger und seine Unfähigkeit, zu sich selbst ins Verhältnis zu treten, Emotionen zuzulassen. Alles viel zu kompliziert! Ist das Innere verschlossen, braucht es nach außen klare Fronten: Freund, Feind, einfache Antworten! Sonst gibt’s eins aufs Maul! Parteidisziplin als neue goldene Regel, die man gern annimmt, wenn man sich selbst nicht führen kann, wenn man gar nicht weiß, wer man eigentlich ist. Gib mir krachende Dummheiten, Sexismus, platte Antworten, eine starke Führung oder Postkartenweisheiten! Dann muss ich mich nicht der Komplexität stellen, dann finde ich Sinn, dann lassen sich im Kollektiv meine Verletzungen heilen – schulterklopfend, unter uns „Normalen“! Mittendrin und auch heute immer und immer wieder mit dabei - das ewige „Mantra seiner Kindertage“: „Ordnung ist das halbe Leben, sagte die Großmutter. Der Rest war Disziplin und Gottesfurcht.“ Irgendwann verschwimmen die Kategorien, folgt die innere Substanz des Protagonisten dem „Elfriedchen“, der Nachbarin aus G., in ihr Flüchtlingstrauma. „Elfriedchen“ öffnet sich und damit auch den Bewusstseinsstrom des Protagonisten immer weiter. Grausames tritt zu Tage, Bilder und Zeitebenen überlagern sich. „Der Geruch des Osten“ erzählt hart, schonungslos und mit fein dosiertem Humor von der Herkunft, der man nie entrinnen kann, von einer kollektiven Unfähigkeit, sich der eigenen Emotionalität zu stellen. Eine Unfähigkeit, die noch viel weiter zurückreicht. Eine pathologische Unfähigkeit, die Hand in Hand mit den Weltkriegen, mit Stalin und Hitler und den weiterhin existierenden Hang zu autoritären Führungen geht. Um freundlich zu sein, muss man erst einmal menschlich zu sich selbst sein können. Dennoch liegt keine psychologische Abhandlung vor. Die Erzählung ist so konkret wie Erinnerungen nur sein können. Sie greift mit Wucht in die Eingeweide, stimuliert auch bei den Lesenden, die die DDR und ihre Folgen erlebt haben, einen Bewusstseinsstrom, der bestimmt jede Menge Gewalterfahrungen, die sonst im Verborgenen schlummern und steuern, anspült. Die lesenden Ossis können abgleichen, müssen – und dürfen! – sich auch den eigenen Monstern stellen. Top, die Wette gilt! Überall werden ähnliche seelische Verkrüppelungen zu Tage treten, die die Wahlerfolge von Parteien wie AfD und BSW auf einer Gefühlsebene verständlich machen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Top, die Wette gilt! Wenn man sich denn öffnen kann.
Text: Mathias Schulze