Harald Meller/Kai Michel: Das Rätsel der Schamanin, Hamburg: Rowohlt 2022, 368 Seiten, 28 Euro. Die Originalfunde zur Schamanin sind im Landesmuseum für Vorgeschichte ausgestellt.
Wer sagt denn, dass wissenschaftliche Erkenntnis trocken daherkommen muss? Das dem nicht so ist, zeigt seit Jahrzehnten das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie von Sachsen-Anhalt unter Leitung des Landesarchäologen Harald Meller. So auch in einem neuen Buch, das sich der unter Archäologen legendären Schamanin von Bad Dürrenberg widmet
Meller wurde seinerzeit bekannt durch seinen Coup, die mittlerweile hochberühmte und zum Weltdokumenten-Erbe zählende Himmelscheibe von Nebra für die Öffentlichkeit zu retten. Das dem Haus angeschlossene Landesmuseum für Vorgeschichte kann sich mit den großen globalen Museen messen und macht immer wieder durch aufsehenerregende Sonderschauen (aktuelle Sonderausstellung: „Die Reiternomaden“) von sich reden.
Der eigentliche Schatz des Hauses aber ist die Dauerausstellung, die für ihren 300.000 Jahre überspannenden Bestand an Funden ihresgleichen sucht. In ihr ist auch die Schamanin von Bad Dürrenberg zuhause, die reichste und bedeutendste Bestattung der Mittelsteinzeit in Ostdeutschland. Das Grab, 1934 im Dürrenberger Kurpark ausgegraben, diente lange als ein Ideologieinstrument der Nazis, die in ihm einen Nachweis für ihre kruden Rassetheorien, die Arier bis in die Jägerzeit verfolgen zu können, erblicken wollten.
Nun, das ist natürlich brüllender Blödsinn. Technischer Fortschritt zudem, eine Nachgrabung, intensive Forschung führten zu atemberaubenden neuen Erkenntnissen zu dieser Vertreterin der letzten Wildbeuter-Epoche in Europa. Mit seinem Mitautor Kai Michel zeigt und diskutiert Meller diese in einem neuen, wunderschönen Buch: „Das Rätsel der Schamanin“, erschienen im Spätherbst bei Rowohlt, kann als Musterbeispiel dafür gelten, wie komplexes Wissen mittels Text, Tabellen, Skizzen und Bildern dargeboten sein kann.
Zwei bedeutende Künstler haben sie dabei an Bord, den Maler und Grafiker Karol Schauer und den vielfach (u. a. mit dem Halleschen Kunstpreis von 2022) preisgekrönten Fotografen Juraj Lipták. Beide sind seit vielen Jahren der Arbeit des Landesamts verbunden und prägen dessen öffentliche Wirkung. Schauer ließ auch aufgrund neuer Erkenntnis-se das Bild der Schamanin neu erstehen – Archäogenetiker wiesen nach, dass die frühe Dürrenbergerin dunkle Haut und helle Augen besaß. Bei der ersten Rekonstruktion ging man vom umgekehrten Fakt aus. Ein Buch, das über die Prähistorie Europas, ausgehend von einer zentralen Landschaft der archäologischen Forschung, berückend und bildhaft erzählt.
Text: André Schinkel