Wie es ist, gar nicht mit dem Virus infiziert zu sein, dennoch aber knallhart die Folgen ausbaden zu müssen, wird deutlich am Fall der freien Kunst- und Kultur-Szene Halle. Darüber haben wir stellvertretend an dieser Stelle mit dem halleschen Musiker Ralf Schmidt, alias „Falkenberg“, gesprochen.
Hallo Ralf Schmidt, lassen Sie uns gleich zu Beginn zum Stichwort Corona- Soforthilfe für Künstler kommen – fühlen Sie sich zur Zeit von der Politik ernst genommen?
Jeder kann sich aktuell die Frage beantworten, wie wichtig ihm Kunst und Kultur sind. Wie hätten sich, für jeden von uns, die letzten Wochen gestaltet, ohne Musik, Literatur und Film? Ich habe von Anfang an sehr aufmerksam beobachtet, wie sich die Politik zu unserem Problem verhält. Ich sehe heute noch Scholz und Altmaier in den Talkshows sitzen und sich gönnerhaft, für ihre Hilfspakete, auf die Schultern klopfen. Nun sind wir in der Realität angekommen.
Und das bedeutet?
Die Grütters-Hilfen sind potemkinsche Dörfer und Grundsicherung kann nicht die Lösung sein. Von den demokratischen Parteien, hätte ich mehr Kompetenz und Weitsicht erwartet, wenn es um den Erhalt der freien und schaffenden Kunst und Kultur geht, auch aus wirtschaftlicher Sicht. Besonders schmerzlich empfinde ich natürlich, wie sich die Landesregierung Sachsen-Anhalt zu den Künstlern positioniert hat und was sie nicht bereit ist, für sie zu tun. Wir erwarten keine Geschenke vom Staat, sondern Gerechtigkeit!
Für freie Künstler scheint es sehr schwer, sich politisch Gehör zu verschaffen. Warum ist das so?
Leider ist die Branche nicht organisiert. Uns fehlt, wie wir sehen, jegliche Lobby. Wir sind sehr viele, haben aber überhaupt keine Macht unsere Interessen durchzusetzen. Der Staat kann Banken und Konzerne retten, die sich verzockt haben, aber Kunst und Kultur, jenseits von Brot und Spielen und Subventionen, sind offensichtlich nicht relevant genug.
In Corona-Zeiten ist vieles vorläufig. Dennoch: Wie sehen denn Ihre Corona-Erfahrungen bislang aus?
Wir machen das ja alle das erste Mal. Bisher fanden Pandemien, mit diesen Folgen auf das gesellschaftliche Leben, woanders statt. Diese Pandemie aber, findet direkt in unseren Wohnzimmern statt, jeden Tag.
Nicht arbeiten zu dürfen und nicht zu wissen wie man sein Leben finanzieren soll, das kenne ich einfach nicht. Ich habe mir niemals, auch nicht vor dem Mauerfall, irgendwo Hilfe suchen wollen und müssen, habe immer nach meinen Möglichkeiten gelebt, mal besser und mal schlechter. Diesen Spielraum gibt es nun aber für eine unabsehbare Zeit nicht mehr.
Ich vermisse die Statements der Industriemusiker und Großverdiener meiner Branche. Da kommt keine, noch so kleine Geste der Unterstützung*, gegen die Ignoranz der Politik gegenüber der freien und schaffenden Kunst und ihrer momentanen Probleme. Die Reichweiten werden leider nicht genutzt. (* Mittlerweile hat immerhin Peter Maffay reagiert und in einem Brief an Kanzlerin Merkel um Unterstützung der Szene gebeten. Anm. d. Red.)
Und doch gibt es Solidarität.
Ja, ich erfahre die Solidarität meiner Leute, meines Publikums. Da bewegt sich ganz viel und das gibt Mut und Hoffnung. Ich stehe in engem Kontakt mit befreundeten Veranstaltern, Agenturen und Technikfirmen: Alle kämpfen um ihr Überleben. Auch hier sind die unabhängigen und kleineren am meisten gefährdet. Ich finde es im Moment vor allem sehr wichtig, dass wir alle uns nicht daran spalten lassen, wessen Not die größere ist. Letztendlich trifft das alles uns alle, auch wenn es sich für den Einen oder Anderen noch nicht so anfühlt.
Viele Ihrer Kollegen haben angefangen, die Dinge ins Digitale zu transformieren. Worin liegen da die Schwierigkeiten und Gefahren? Kann man heute auf diesem Feld etwas entdecken, was auch nach Corona noch Bestand haben wird?
Es gibt so gut wie nichts in meiner Arbeitswelt, was nicht schon digitalisiert ist. Es gibt nichts, was es nicht schon gegeben hat.
Auch Onlinekonzerte sind nichts wirklich Neues. Das erste war vielleicht noch eine Attraktion, jetzt wird’s aber gewöhnlich und vor allem qualitativ nicht unbedingt besser. Und die finanziellen Löcher lassen sich damit sowieso nicht auffüllen.
Das ist, nach Spotify und Co., der Ausverkauf der nächsten Stufe. Uns wäre jetzt wirklich geholfen, wenn die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten endlich beginnen würden die Künstler, ihres jeweiligen Sendegebietes, zu unterstützen. Also keine Quotenregelung, sondern eine Abbildung der Realität und ein Ende der Ignoranz.
Lassen Sie uns optimistisch eins, zwei Jahre nach vorne schauen. Was sehen Sie?
In zwei Jahren könnten sich die Wunden, die diese Pandemie in allen Bereichen geschlagen hat, langsam geschlossen haben. Ich hoffe natürlich, wie viele meiner Freunde, dass wir klüger daraus hervorgehen, umsichtiger handeln, visionärer denken. Die gesellschaftlichen Problematiken und Defizite haben sich nun zum wiederholten Male manifestiert, beispielsweise im Gesundheitswesen, im Bildungssystem und Klimaschutz.
Jetzt müsste jeder begriffen haben, dass der Markt gar nichts regelt, weil immer wieder der Staat, also wir, helfend einspringen müssen, während die Aktionäre ihre Dividenden feiern. Wir brauchen ein grundsätzliches Umdenken und zwar sehr schnell und sehr konsequent.
Ein gutes Beispiel: das bedingungslose Grundeinkommen. Seit den Siebzigern des letzten Jahrhunderts haben alle Experimente und Studien gezeigt, dass es gar keine Alternative dazu geben kann. Wieviel besser wäre die Situation im Moment für alle, hätte sich die Politik in den letzten Jahren dafür entscheiden können.
Abschließend zurück zur Kunst – gewissermaßen, weil’s so schön war: Haben Sie in Ihr Vita einen wirklich einzigartigen Auftritt zu bieten?
Live im syrischen Fernsehen auf einer Bühne im Azim-Palast, in Damaskus 1991.
Warum?
Weil ich damals schon wusste, dass das einzigartig ist.
Text: Mathias Schulze