Ralph Schüller, 26. November, Volksbühne am Kaulenberg, Halle, Kaulenberg 1, 19.30 Uhr, www.volksbuehne.jonsch.net
Der Auftritt des Musikers Ralph Schüller in der Volksbühne am Kaulenberg ist ein Konzerthöhepunkt im November. Warum? Eine Erklärung
Woran erkennt man sehr gute Musik? Manche sagen, das sei subjektiv, da spiele die soziale und kulturelle Prägung als Kriterium eine Rolle. Auch der Autor dieser Zeilen hat sich diese Frage schon oft vorgelegt. Zeit für ein paar Beobachtungen.
Es war im Juni diesen Jahres, der Sommer hatte sich ins Gemüt gelegt, als das neue Doppelalbum „Danke. Schade.“ von Ralph Schüller, Jahrgang 1968 und heute in Leipzig wohnend, im Briefkasten lag. Die Vorfreude war da, denn Schüller hat sich die letzten Jahre zwischen Element of Crime und Neil Young, zwischen französischen Chansons und amerikanischem Folk eingependelt. In seiner deutungsoffenen Poesie verschwimmt eine süße Schwermut mit einer mediterranen Leichtigkeit, Hoffnung pulst stets in düsteren Bestandsaufnahmen.
Das Titelbild des neuen Albums: Ein rostiges Geländer mit roten Farbtupfern, im Hintergrund eine marode Wand, rechts ein Kringelgesicht und der Lauf eines Gewehres, links ein Schmetterling. Schüller, der auch Maler und Grafiker ist, hat seine Booklet-Gestaltung mit selbst gestalteten Kunstwerken verziert, ganze dreizehn Musiker sind in der Beilage verzeichnet. Ein Großprojekt.
Es gibt 18 Lieder, am Ende ist dies vermerkt: „Psychiater: Doc Schneider“. Also, Anlage an und Silberling rein. Zufällig ist es der zweite Song der zweiten CD. „Du bist 15“ heißt er, mehr als 7 Minuten ist er lang. Es geht um Erinnerungen, um die ziel- und orientierungslosen Säfte der Jugend, um die freiheitsliebende Kraft eines Bewusstseins, das noch nichts von der eigenen Vergänglichkeit spüren kann.
Was dann passierte? Es war, als fiele die wuselnde Welt aus ihren Angeln. Schauer durchzogen das Gemüt, Gänsehautmomente am Stück. So etwas ist selten. Sehr selten. Es war, als würde dieser Song etwas extrem kompakt in die Seele stellen, etwas, was man in der Adoleszenz und auch darüber hinaus immer wieder gefühlt hatte.
Alles noch mal von vorn, die Anlage lauter gemacht. Und wieder diese Schauer, wieder Berührungen. Kann doch nicht wahr sein? War aber so. Ein paar Tage später wiederholte es sich auch beim Live-Konzert. Und wissen Sie, verehrte Leser, was das Unheimliche ist? Auf diesem Doppelalbum hat der Autor dieser Zeilen gleich mehr als ein halbes Dutzend solcher Gänsehaut-Songs gefunden.
Sagen wir es also in aller Subjektivität gerade heraus: „Danke. Schade.“ ist das bislang schönste Album des Jahres 2020!
Text: Mathias Schulze