Es war und ist wohl für die meisten Menschen eine Zumutung und eine Probe aufs Exempel: Corona hatte und hat, auch wenn nun die Lockerungen nach der Pandemiewelle im Frühling sichtbar sind, auch die reiche Kulturszene der Stadt Halle fest im Griff. Trotzdem nun die meisten Kulturinstitutionen wieder vorsichtig geöffnet haben, wird die Krise gerade in diesem heiklen und auf Publikum angewiesenen Metier noch einen langen Nachhall haben. Eine Sichtung von FRIZZ-Kulturredakteur André Schinkel
Manche Dinge klingen wie aus dem Handbuch der Apokalypse - als von März an ein heftiger Lockdown sich in der Welt verbreitete, auch Mitteldeutschland und mithin in dessen Herz, die ehrwürdige Saalestadt, trafen, stockte einem der Atem. An sich war noch gar nicht real abzusehen, welche Auswirkungen das auf das ganze öffentliche Leben haben würde. Und so kam es - letztlich in kluger Voraussicht, die wohl der Stadt viel Unglück ersparte - dass sich durch das Herunterfahren das Schreckensszenario halbwegs in Grenzen hielt.
Auch wenn noch nicht vollständige Entwarnung gegeben werden kann, so sind doch die meisten Kultureinrichtungen unter Auflagen wieder geöffnet. Die Museen und Galerien der Stadt, die Franckeschen Stiftungen, auch in den Theatern wird seit Juni wieder auf Abstand bzw. unter freiem Himmel gespielt. Unter größter Vorsicht können einige Angebote der Volkshochschule wieder genutzt werden. Gleichwohl ist wenig wie zuvor, die Maßnahmen werden noch lange auch die hallesche Kultur begleiten und beschneiden; und der Nachhall der Krise wird wohl gerade die eben auch systemrelevante Branche treffen.
Dem Schreck folgt vorsichtiger Optimismus. So hat das Puppentheater aus der Not eine Tugend gemacht und im Puschkin-Haus kleine Zuschauerboxen errichtet – Erfolgsstücke wie „Glück“ oder „Clara“ können so einem reduzierten Publikum gezeigt werden. Natürlich, so Dramaturg Ralf Meyer, muss dabei das Künftige bedacht sein, und die Gesundheit geht vor. Dennoch, man durfte nicht proben und nicht spielen. Gastspiele fielen aus. Spieler und Regisseure saßen zuhause. „Der Spielplan für die nächste Saison muss überdacht werden, da internationale Gäste, mit denen wir kooperieren wollten, nicht zu uns kommen werden, da ihre eigenen Pläne sich aufgrund der zahlreichen Ausfälle und finanziellen Einbußen ändern.“ Und: „Das Theater lebt von der Begegnung von der Bühne mit dem Publikum. Auf keine der beiden Seiten kann es verzichten.“ Einen wirklichen Neustart wird es wohl erst mit der neuen Saison geben. Nach der Überbrückung durch Miniclips im Netz und großer Sehnsucht nach dem Publico mag der kleine Spielbetrieb ein gutes Zeichen sein.
Auch die Kunsthalle Talstrasse traf es hart. „Unser Haus lebt von seinen Gästen. 2019 waren es etwa 12.000 Besucher, davon kamen mehr als 50 Prozent aus anderen Bundesländern“, so der Leiter der Kröllwitzer Kultgalerie, Matthias Rataiczyk. Ein Teil der umfangreichen Vorhaben des Hauses konnte immerhin in den Herbst gelegt werden - durch die zwischenzeitlichen, gegen Null gehenden Einnahmeverluste geriet die Kunstinstitution dennoch ernsthaft in Sorge. „Es ist unverständlich, dass Politik die Kultur offensichtlich als Nebenschauplatz betrachtet, denn auch wir sind wirtschaftlich arbeitende Unternehmen“, so Rataiczyk noch im Mai. Nach der Wiedereröffnung freut man sich nun, dass die aktuellen Schauen wieder zugänglich sind, durch den Skulpturengarten ein wunderbares Open-air-Angebot steht, mithin die zeitgenössische Kunst unter Auflagen wieder zugänglich ist.
Nicht viel anders ergeht es der größten Galerie der Stadt, dem Kunstmuseum in der Moritzburg. „Unsere gerade erst mit großem Erfolg und großer medialer Aufmerksamkeit eröffnete Sonderausstellung ‚Karl Lagerfeld. Fotografie. Die Retrospektive‘ mussten wir nach nur sechs Tagen wieder schließen“, so Museumsleiter Thomas Bauer-Friedrich. „Das ist medial und finanziell ein schwerer Schlag. Die gesamte Werbung, die wir deutschlandweit geschaltet hatten, lief ins Leere.“ Immerhin konnte die große Sonderschau bis in den Januar verlängert werden, und der Reboot der Moritzburg hat auch unter Auflagen sehr erfreuliches Interesse gefunden. Alles andere fügt sich dem bei, muss gegebenenfalls neuorganisiert werden: „Für die geplanten Veranstaltungen, die in den vergangenen Wochen nicht stattfinden konnten, werden wir Ersatztermine im Herbst organisieren.“
Auch ein anderer, nicht nur weltoffener, sondern auch Ort mit Weltgeltung atmet nach dem Lockdown und ungewöhnlicher Stille nun erstmal auf. „Die Franckeschen Stiftungen sind in normalen Zeiten mit über 4.000 Menschen so etwas wie das pulsierende Herz in der Innenstadt Halles. So ruhig wie von März bis Mai lag der kulturelle Bildungskosmos in den barocken Gebäuden sonst höchstens mal am Wochenende im Hochsommer da“, berichtet Thomas Müller-Bahlke, der Leiter der würdigen Schulstadt. Vieles wurde wie in anderen Instanzen teils über das Internet angeboten, aber es ist doch erheblich etwas anderes, wenn die Gebäude wieder zugänglich sind und wieder Termine in Aussicht.
Müller-Bahlke dazu: „Nicht alle werden sich nachholen lassen. Aber wir arbeiten daran. Und so werden wir z. B. wohl Katrin Göring-Eckardt im Herbst in unserer Gesprächsreihe haben statt im Frühjahr, Hans-Ulrich Gumbrecht wird eine hochkarätige Paul-Raabe-Vorlesung genau ein Jahr später halten als geplant, also am 3. Juli 2021, einige Ausstellungseröffnungen können wir wohl verschieben.“
Wenn es denn nur Hoffnung und Aussicht gibt in der Kultur - es bedeutet in diesen wirren und zehrenden Zeiten so viel.
Text: FRIZZ Das Magazin / André Schinkel