Das vollständige Interview kann auf unserer Facebook-Seite gelesen werden, dort wird auch die Reihe „Quo vadis, freie Szene Halle?“ mit vielen anderen Beteiligten kontinuierlich fortgesetzt.
Dieser miese Winzling namens Corona macht auch um Halles Kulturszene keinen Bogen, freischaffende Künstler sind plötzlich existenziell bedroht. Wir haben stellvertretend mit Theatermann Jonas Schütte von der Volksbühne am Kaulenberg gesprochen. Es geht um Sorgen, Chancen und politische Entscheidungen
Hallo Jonas Schütte, lassen Sie uns gleich zum Stichwort Corona-Soforthilfe für Künstler kommen – fühlen Sie sich zur Zeit von der Politik ernst genommen?
Ja. Nein. Beides. Ja, weil ich das Gefühl habe, es wird etwas bewegt, um das Schlimmste zu verhindern – und das scheint bekannt zu sein. Ich verstehe da nicht alles, und muss Vertrauen haben, dass da die Entscheider am meisten drüber Bescheid wissen. Auch „ja“, weil der Weg zur Handlung selbst so kurz zu sein scheint, dass der Grundgedanke noch nicht pervertiert ist. Das ist manchmal schön, zeigt aber auch, wie schnell das Misstrauen wieder zurückschnellt.
„Nein“, weil es sich nicht wie ein Dialog anfühlt. Ich hätte gern mehr Realitäten, von denen Politiker erzählen, um die sie sich kümmern. Künstler, Projektleiter, Manager, Agenten, alle die das freischaffend machen, sitzen ja gerade auf dem Trockenen – ohne einem direkten Draht zu Geld. Da wünsche ich mir mehr Geschichten von strahlenden Gesichtern, die erleichtert sind, weil sie bekommen haben, was sie brauchten, um durch die Krise zu kommen.
In Sachsen-Anhalt hat es Wochen gedauert, bis 400 Euro überwiesen werden konnten – nur für Künstler-Sozialkasse-Mitglieder (KSK) und nur auf einen Monat begrenzt. Das ist nicht gut. Projektleiter beispielsweise sind nicht bei der KSK: Wie kommen die an einen derartigen Ausgleiche? Wobei Ausgleich hier auch viel gesagt ist – bei 400 Euro ...
Mir kommen dann sofort Diskussionen über den Soli in den Kopf, die vielleicht neu aufgerollt werden sollten. Was ist da los? Hier ist es schwer, sich ernst genommen zu fühlen, bei aller Liebe. Andererseits hilft mir die Stadt Halle Leistungen zu bezahlen, die ich auch ohne sozialen Kontakt erbringen kann. Deshalb die Antwort: Ja, nein, beides.
Viele Künstler und Theater haben angefangen, die Dinge ins Digitale zu transformieren. Sie auch? Worin liegen da die Schwierigkeiten und Gefahren? Entdeckt man auf diesem Feld jetzt etwas, was auch nach Corona noch Bestand haben wird?
Die Dinge ins Digitale zu transformieren ist ja noch nicht Theater. Eine alte Aufnahme zu zeigen, ist ja ein historisches Zeugnis. Ein Live-Stream ist da näher am Theater, hat aber seine eigenen Gesetze, die die meisten Theaterleute nicht kennen und sich deshalb davor scheuen.
Die Schwierigkeit liegt vielleicht darin, dass es keine leichte Erkenntnis ist, dass Theater das Digitale nicht nur aushält, sondern braucht, um Geschichten von heute erzählen zu können. Wir leben nun einmal mit sozialen Medien. Wieso tut das Theater, als seien die nicht Teil des Lebens, wollen aber vom Leben erzählen? Da stimmt etwas nicht. Deshalb ja, ich halte viel davon, das zu erforschen.
Ich arbeite gerade daran, diese Omnipräsenz des Digitalen, die dem Momenthaften des Theaters so wunderbar diametral gegenübersteht, aufeinanderprallen zu lassen. Momentan geht das nur über den digitalen Raum, hoffentlich auch bald wieder über den Theaterraum. Kay Voges ist da der Pionier, aber eben nur solange die anderen Theater den Fehler machen, ihm dieses Feld völlig zu überlassen.
Ein Beispiel?
Welches Problem muss man sich zum Beispiel ausdenken, wenn Romeo und Julia ein Handy hätten? Keine Pest hält eine SMS von ihrem digitalen Flug ab, somit wüsste doch Romeo eigentlich Bescheid über Julias Scheintod. Aber wenn Julia in dem Moment, in dem sie das Gift bereits zu sich genommen und ein „Fake-Verreck“-Bild für Romeo schießen will, der Akku versagt, ist die Tragödie ins Heute übertragen und auf die Spitze getrieben.
Es geht also: Bildschirm schwarz, Nachricht konnte nicht gesendet werden. Dann ist die Unabwendbarkeit der Tragik doch näher an mir dran. Oder, noch besser: In unserer Weltraumsaga „SOAP“ gehen wir den Schritt an unsere Vorbilder ran. Der Spezialeffekt, wie ein Schiff durchs Weltall fliegt, wird live auf der Bühne erstellt und auf die Leinwand übertragen. Der Zuschauer kann also gleichzeitig das Making-of in dem Moment sehen, live.
Oder er kann auf die Leinwand blicken und sich verführen lassen zum Effekt. Das ist für eine Comedy- Show doch reines Gold. Und da ich Spezialeffekte, die Tücken des Digitalen, die Möglichkeiten von App-Bastlern, und das Surreale des digitalen Raums gerne weiter erforschen möchte, verbinde ich es mit dem, was mich schon immer fasziniert hat und was ich liebe: Theater! Und das ist viel stärker, als dass es gegen so einen Gegenpart irgendwie verlieren würde. Und das sage ich als kleines Pupstheater Sachsen-Anhalts. Alle anderen Formen von Theater sind damit bitte nicht diskreditiert, die Liebe dafür ist auch bei mir nicht weg. Aber ich habe eine Faszination entdeckt, die mich antreibt. Der gehe ich jetzt mal nach.
Text: Mathias Schulze