Die Räuber, 10. und 24. Oktober, Anhaltisches Theater Dessau, jeweils 17 Uhr, alle Termine: www.anhaltisches-theater.de
Dem Anhaltischen Theater Dessau ist ein echter Coup gelungen: Man konnte den 53-jährigen Berliner Milan Peschel für eine Gastinszenierung gewinnen. Peschel, der lange unter der berühmten Intendanz von Frank Castorf an der Volksbühne Berlin gearbeitet hat, hat sich Friedrich Schillers „Die Räuber“ zur Brust genommen. Wir haben Herrn Peschel zu einem, wie er am Ende konstatiert, „sehr schönen Gespräch“ gebeten
Hallo Milan Peschel, Zu Ihrer Regie- Premiere genehmigen Sie sich „Die Räuber“ – warum?
Das hat etwas mit dem Ort zu tun. Als ich in den 1980er Jahren zum ersten Mal das Dessauer Theater gesehen habe, kam mir dieser riesige Bau wie das „Bayreuth des Ostens“ vor. Ich wusste, wenn ich jetzt dahin gehe, muss es ein deutscher Stoff sein. Das ist so ein Bauchgefühl. Zudem habe ich in den 90er Jahren eine „Räuber“- Inszenierung von Frank Castorf an der Volksbühne Berlin gesehen: Eine prägende Erfahrung.
Gut, dass Sie gleich auf Ihre langjährige Wirkungsstätte und künstlerische Heimat namens Volksbühne Berlin unter der Intendanz von Frank Castorf (1992 bis 2017) zu sprechen kommen. Wie viel Volksbühnen- Spirit wird es in Dessau zu sehen geben?
Das soll auch deswegen das Publikum entscheiden, weil unter diesem Volksbühnen-Spirit jeder etwas anderes versteht. Einige werden sicherlich etwas wiederentdecken, aber letztlich ist mir das auch völlig egal.
Das glaube ich Ihnen nicht ganz, dafür muss die Volksbühnen-Prägung zu stark sein. Haben Sie manchmal Sehnsucht nach der wilden Zeit?
Es ist doch klar, ich bin an der Volksbühne zu dem geworden, der ich heute bin. Ich habe aber selten Sehnsucht nach der Vergangenheit. Viel eher bin ich sehr glücklich darüber, dabei gewesen zu sein. Ich trage das ja alles noch in mir. Und natürlich haben wir unter der Intendanz von Frank Castorf Sachen gemacht, die das europäische Theater beeinflusst haben. Wir waren ein Team, das auch in seinem Extremismus etwas Unvergleichliches geschaffen hat. Und ja, natürlich will ich das auch weitertragen. Castorf nannte das mal Partisanentum. Und was ich mache, ist vielleicht das „Rekrutieren neuer Partisanen“. Ich versuche, zu infizieren.
Was ist das, was Sie da weitertragen wollen?
Nennen wir es den Geist der Freiheit – auch im Denken gegen sich selbst.
Muss man, um diesen Geist weiterzutragen, an die Wirksamkeit von politischem Theater glauben?
Nein, muss man nicht. Ich glaube nicht an die Wirksamkeit von politischem Theater – zumindest nicht im großen Stil. Im Kleinen aber sicherlich schon. Ich glaube an das politische Theatermachen. Ich glaube an eine Wirkung unmittelbar auf der Bühne. Wie verhalten und präsentieren wir uns da? Das ist eine ganz entscheidende Frage.
Auf den sozialen Medien präsentieren Sie häufig Ihre Siebdrucke: Kann man die auch kaufen?
Aber natürlich. Man schaue beispielsweise auf artflash.de nach.
Sie präsentieren sich heute im gesamtdeutschen Schauspielbetrieb. Wie macht sich dort Ihre ostdeutsche Herkunft bemerkbar?
Meine ostdeutsche Herkunft ist ein bestimmter sozialer Gestus, ein bestimmtes soziales Denken. Vielleicht ist es so, dass diese Herkunft Menschen, die ebenfalls im Osten aufgewachsen sind, hier sozialisiert wurden, besonders auffällt. Leute, die eine ähnliche Biografie haben, finden oft schneller eine gemeinsame Sprache. Bestimmt zeigt sich meine Herkunft auch daran, wie ich an bestimmte Themen herangehe.
Machen wir es konkret. Wie gehen Sie an die Entwicklungen der letzten 30 Jahre in Ostdeutschland heran?
Ich kann etwas konstatieren. Und zwar empfinde ich den Verlust von Utopien als sehr schmerzhaft, auch als sehr gefährlich. An der DDR gibt es viel zu kritisieren, aber für mich stand damals immer auch noch die Utopie von einer gerechten Welt im Raum. Heute scheint der Profit das höchste Kriterium zu sein. Dabei leben wir heute auf Messers Schneide, der Weltklimarat weist uns darauf immer und immer wieder hin. Solange wir aber einen großen Teil der Welt für unser Leben im Wohlstand ausbeuten, können wir keine Klimaneutralität von anderen Staaten verlangen. Wir sind nicht unschuldig. Erst im Zuge einer weltweiten Gerechtigkeit, können die Probleme gelöst werden.
Black Lives Matter, Fridays for Future, die Regenbogen-Farben am Fußballstadion. Tauchen nicht immer wieder utopische Splitter auf?
Ich möchte das alles nicht kleinreden. Aber sind das nicht alles eher Machtkämpfe? Suche ich nach einer positiven Idee unseres Zusammenlebens, nach einer Idee, wie wir unsere Gesellschaften so organisieren, dass wir weder uns noch unseren Planeten zerstören, werde ich dort eher selten fündig.
Abschließend: Union Berlin oder Hertha BSC?
Nach diesem schönen Gespräch kann sich das jeder selbst beantworten.
Text: Mathias Schulze