„Gundermann – Blasse Blume auf Sand“, ab 1. Oktober, Kammer des neuen theaters, alle Termine: www.buehnen-halle.de
Tristan Becker, Jahrgang 1996, ist frisches Mitglied am Neuen Theater Halle. Mit „Gundermann – Blasse Blume auf Sand“ gibt er seinen Einstand. Wir haben den gebürtigen Kölner zum Gespräch gebeten
Hallo Tristan Becker, kennt man Gerhard Gundermann im Rheinland?
Eher nicht. Mir war er nicht bekannt, bis ich nach Leipzig kam.
Ich muss mir Ihre erste Begegnung mit den Gundermann-Songs als Erweckungserlebnis vorstellen.
Ja, ich erinnere mich genau, es war der erste Tag an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig. Die Neuankömmlinge wurden vom Jahrgang über uns mit dem Song „Gras“ begrüßt, alles live dargeboten von einem Chor. Die Zeilen „Als wir endlich groß genug war’n / Nahmen wir unsere Schuh / Die bemalte Kinderzimmertür / Fiel hinter uns zu“ gehen mir, der gerade in die große weite Welt gestartet war, nicht mehr aus dem Sinn.
Besser kann man als „Wessi“ im Osten nicht ankommen.
Gundermann hat unglaublich starke Bilder und Metaphern, die die Menschen direkt anfassen können. Sein Werk haut mich bis heute immer wieder um. Ich kannte Rio Reiser, einige starke Songs von Udo Lindenberg oder Grönemeyer, aber Gundermann hat sich bei mir sofort zum Fixpunkt entwickelt.
Wie lässt Sie dieser Fixpunkt auf die Singer-Songwriter-Szene schauen?
Erst einmal habe ich vor jedem Respekt, der selber Songs schreibt und sie aufführt, aber natürlich legt Gundermann die Latte ziemlich hoch. Höre ich mit Gundermann auf die Szene, fällt auf, dass es viel Negativität, viele Privatismen und Befindlichkeiten und viel Nabelschau gibt. Das ist mir heute unangenehm, das ist ein Fehler, der auch mir als Song-Schreiber passiert ist – und auch immer noch passiert. Bei Gundermann sind die Songs poetisch ins Universelle geweitet. Das macht ihn heute immer noch einzigartig.
Wie sehen Ihre ersten Eindrücke vom Osten aus?
Es war krass. In Leipzig habe ich gleich am ersten Tag das genaue Gegenteil von dem erfahren, was ich daheim in der Schule und in den Geschichtsbüchern gelernt hatte. Ich kam am Tag der deutschen Einheit in Leipzig an – und mein Mentor wünschte uns einen schönen „Tag der Unterwerfung“. Der Blick auf Politik, Gesellschaft oder Kunst der ehemaligen DDR ist im Westen komplett anders. Im Westen ist beispielsweise die Ostkunst immer mit einem Makel behaftet. Das für mich konkret zu reflektieren, ist eine Lebensaufgabe. Ich empfinde diesen Perspektivwechsel als eine Bereicherung, meinen Mentoren und Lehrern in der Schauspielschule in Leipzig und am Theater in Halle bin ich sehr dankbar dafür.
Ich nehme gern noch ein Beispiel, noch eine typische West- und Ostsicht.
Auch am Beispiel Gundermann ist eine Ost- und eine Westsicht erkennbar. Die Stasi-Geschichte wird im Westen sehr viel größer und wichtiger genommen und in den Vordergrund gestellt. Oft dient sie als Aufhänger in der Berichterstattung über ihn. Im Osten zählen seine Lieder mehr, sie sind fast Allgemeingut, so konnte ich es zumindest bisher beobachten. Im Osten gilt, so scheint es mir, noch mehr der Anspruch: Kunst kommt von können. Und Gundermann war ein Könner! Text und Musik bilden eine Einheit bei jedem seiner Lieder. Da ist nichts gefühlig oder beliebig und trotzdem sind sie nie kalt. Deshalb haben sie auch so eine starke Wirkung. Dazu kommt, dass es Gundermann mit seinen Liedern nie um kommerziellen Erfolg ging, sondern alle Lieder einen Kunstanspruch haben. Ein weiterer Unterschied könnte sein, dass im Osten das „Außenseitertum“ des Künstlers, seine Position am Rand der Gesellschaft, noch mehr toleriert wird als im Westen.
Kommen wir zum nt-Programm „Gundermann – Blasse Blume auf Sand“.
Es wird ein theatraler „Liederabend“. Zwischen den Songs gibt es Szenen, die beispielsweise das Interview-Buch „Tankstelle für Verlierer“ von Hans-Dieter Schütt als Grundlage haben. Wir werden Geschichten aus seiner Kindheit, all die Umwelt- und Ökologiethemen und auch, wenn nur am Rande, die Stasi-Geschichte einbauen. Es wird ein Theaterabend, mit Bühne und Kostüm. Nebenher ist es ja auch mein Einstand als Schauspieler am nt.
Sie wohnen seit 2019 in Halle, haben jetzt einen Dreijahresvertrag am nt bis 2024 in der Tasche. Was ist das für ein Haus, an dem Sie da arbeiten?
Es gab eine Zeit, da habe ich so in mich hinein geschmunzelt, wenn die älteren Kollegen von früher, von den Anfängen der Kulturinsel geredet haben. Im Zuge des 40. Jahrestages, im Zuge des Buches „Die Wurzeln der Leute reichten bis zum Mittelpunkt der Erde“, das ich in einer Nacht verschlungen habe, habe ich Bilder von Kollegen gesehen, wie sie in jüngeren Jahren das Ganze mit aufgebaut haben. Das ist so krass.
Sie sind noch bei der „Schauspielbrigade Leipzig“ aktiv.
Bei der „Schauspielbrigade Leipzig“ bin ich neben Professor Frank Raschke als Co-Autor, Sänger und Gitarrist aktiv. Das Album „Es ist zu laut für meine leisen Lieder“ erscheint im Herbst. Es ist ein Album mit eigenen Songs, mit dem sich die „Schauspielbrigade“, neben dem bekannten Gundermann Lied-Programm, mit eigenem Liedmaterial etablieren möchte. Beispielsweise spielen wir am 4. September in Leipzig auf dem „KunstRasen“ in Leutzsch. Mit einigen neuen Liedern werde ich in Zukunft auch solo unterwegs sein.
Dann gibt es noch Ihre Band „Trostland“.
Kontinuität ist wesentlich für meine Arbeit, deswegen wird es für die Band, deren Bandleader und Songwriter ich bin, schwer. Die Bandmitglieder sind alle in andere Städte gezogen. Aber: wir haben das vierjährige Bestehen im Sommer mit einer Live-CD und Open Air-Konzerten gefeiert. Und Mitte September spielen wir ein Konzert im Staatstheater Meiningen.
Text: Mathias Schulze