„Ich find's schon beschämend“
„Ich muss gewollt sein, um kreativ zu sein.“
„Wenn die Kunst nur noch Ware ist, verkümmern wir“, sagt Schauspielerin Elke Richter. Sie ist die Sunny in „Solo Sunny“. Ein Stück, nach dem Film von Konrad Wolf und Wolfgang Kohlhaase, das hoffentlich schon bald am nt Premiere feiern darf. Wir haben die Grande Dame des halleschen Theaters zum Interview gebeten. Ein Gespräch über ´89, legendäre Kantinenabende und den Frust von heute
Hallo Frau Richter, Sie sind seit 1983 Ensemblemitglied am nt. Hat sich denn für Sie die Bedeutung der Theater-Schauspielerei im Laufe der Jahre verändert?
Da gab es den großen Umbruch, da gab es ´89.
Okay, ich präzisiere: Hat sich die Bedeutung Ihres Berufes nach ´89 verändert?
Wir hatten im Osten ein sehr gutes Theater – und auch eine andere Art von Geborgensein. Wir, also die Schauspieler, waren damals ein Sprachrohr. Natürlich gab es Zensur, aber wir zelebrierten unsere Abende auch. Das Theater war zu DDR-Zeiten ein Spiegel der Gesellschaft, die Schauspieler hatten eine enorme gesellschaftliche Funktion - manchmal fühlte es sich wie Narrenfreiheit an.
Das änderte sich nach ´89?
Zuerst einmal mussten wir uns ja in die andere Gesellschaft hineindenken beziehungsweise hineinleben, gleichsam wie in eine andere Welt einsteigen. Aber das handwerkliche Material des Schauspielers, nämlich Du selbst, blieb das Gleiche. Aber entwickle ich mich nicht, entwickelt sich auch mein Spiel nicht. Was auch geblieben ist, sind die Fragen der Zeit, die man in der Kunst sich stellt, die wiederum hatten sich geändert.
Und Ihre Bedeutung als Sprachrohr?
Wie gesagt, das gesellschaftliche Umfeld ist ein anderes geworden. Nach ´89 waren dann andere Dinge wichtig, beispielsweise der Konsum. In der DDR haben wir in einer Mangelwirtschaft gelebt, die Kunst war so wichtig wie das täglich Brot. Heute ist Kunst in den Status einer Ware gerutscht, sie ist nicht mehr überlebenswichtig. Wir verkümmern - seelisch und geistig. Das beste Beispiel dafür gibt uns die Gegenwart. Und da müssen wir uns als Theater Fragen stellen: Was wollen wir denn heute für Geschichten erzählen? Und wie wollen wir sie erzählen?
Sie arbeiten als gestandene Schauspielerin auch mit jüngeren Kollegen zusammen. Vergleichen Sie die Eindrücke manchmal mit der damaligen Zeit?
Das kann falsch sein, aber ich habe den Eindruck, es wird nicht mehr so viel gefeiert wie früher. Unsere Kantinenabende waren legendär; wir haben nicht nur kräftig ins Glas geguckt, wir waren einfach gesellig, beieinander, wir haben uns viele Geschichten erzählt, gestritten, diskutiert - wir wollten ja was bewegen, verändern mit unserer Kunst. Wir hatten auch viel Frust, aber der ist heute wohl noch größer.
Warum?
In der vergangenen Zeit wurde soviel über Kunst und Kultur diskutiert. Brauchen wir Kultur? Und wenn ja, wie viel? Welche Bühnen können wir schließen? Welche kulturellen Einrichtungen kosten zu viel Geld? Wo können wir Stellen abbauen? Ständig sich legitimieren zu müssen, ein wichtiger und unentbehrlicher Bestandteil der Gesellschaft zu sein, ist zermürbend. Und jetzt das Zauberwort „systemrelevant“. Zu spät! Für Einige geht das Licht aus. Ich finds schon beschämend!
Ein Gedankenspiel: Was würde eine Elke Richter heute machen, wenn Sie nicht bis jetzt konstant am neuen theater angestellt gewesen wäre?
Dieses Gedankenspiel gibt es für mich nicht. Ich hatte „Glück“. Mein Leben und Arbeiten mit dem nt in Halle zu verknüpfen, ist auch eine Lebensentscheidung. Ich habe dafür auch viele Vorwürfe bekommen: Ich sei nicht kreativ genug, ich sei zu bequem, um andere Wege zu gehen, ich muss mir ja keine Gedanken ums Geld machen - und so weiter und so fort. Ich will dazu nur sagen, dass ich eine Person bin, die in ihrer Grundstruktur sicher sein muss, ich muss gewollt sein, um kreativ zu sein. So ähnlich antwortet auch meine Hauptfigur in „Solo Sunny“, dieser unbändige Wille, sich Träume erfüllen zu wollen.
Bleiben wir bei „Solo Sunny“. Können Sie sich daran erinnern, als Sie zum ersten Mal Wolfs Film gesehen haben. Welche Bedeutung hatte der Film damals für Sie?
Damals habe ich den Film mit einem ganz anderen Ich gesehen, ich war damals jung. Auch für mich war der Film ein Kultfilm. Da gab es diese Frau, diese Solo Sunny, die von Renate Krößner gespielt wurde - die nicht nur einfach aus dem gewöhnlichen Leben raus wollte, sondern sie wollte eine Persönlichkeit sein, sich von der Masse abheben, mit den Männern auf Augenhöhe sein, der große Wunsch nach Individualität. Das war in der DDR riskant - und fast nicht möglich. Unsere Erziehung zielte nicht danach, ich fand das mutig und bewundernswert.
Welche Bedeutung hat der Film heute für Sie?
Er berührt mich immer noch, denn es hat sich in dem Anspruch nichts geändert. Nur habe ich den Eindruck, dass Individualität damals ein Stück Freiheit bedeutete, wie auch für Sunny, heute aber an Äußerlichkeiten gemessen wird. Das Hochrappeln, dieses Immer-wieder-Aufstehen, von vorn Anfangen, nie Aufgeben, das Solo Sunny verkörpert, kenn ich gut. Wir erzählen den Stoff aus der Retrospektive einer gereiften Solokünstlerin, es ist spannend, wieviel mich mit der Sunny von damals verbindet.
Wie bereiten Sie sich genau auf eine Rolle vor?
Das ist bei jeder Rolle anders, das hat immer was mit der konkreten Figur, mit meinen Erfahrungen, mit dem Alter und dem jeweils vorhandenen Team zu tun. Aber eigentlich immer schaffe ich mir einen intuitiven Kosmos, ich versuche, die Figur zu erspüren, ihre Wut, ihre Freude, ihre Zerrissenheit emotional zu empfinden. Ohne diese Öffnung geht es bei mir nicht.
Studieren Sie beim Schauen von Filmen auch andere Schauspielerinnen?
Nee, das ist Blödsinn. Kein Schauspieler guckt sich einen Film an und ahmt dann den Anderen nach. Ich schaue einen Film wie jeder normale Mensch auch. Vielleicht kann ich vor meinem Erfahrungshintergrund die Dinge im Nachgang anders beschreiben, vielleicht kann ich es handwerklich erklären.
Haben Sie eine Traumrolle?
Ja, aber die sage ich nicht, weil das zu viel von mir preisgeben würde. Diese Haltung, wonach man nur diese eine Rolle noch spielen will und dann sterben kann, gibt es bei mir nicht. Jede Rolle war und ist für mich besonders - und sie steht immer in Relation zu den Kollegen, zu dem jeweiligen Produktionsteam, zu der Arbeitsatmosphäre einer Inszenierung, die mal richtig schlecht, mal atemberaubend toll sein kann. Jede Rolle sehe ich auch im Nachhinein immer vor diesem Gefühlshaushalt.
Aber gibt es eine Rolle, durch die sie etwas Neues an sich kennengelernt haben?
Das ist immer so, weil ich, wie oben beschrieben, von innen nach außen arbeite, weil ich emotional in die jeweilige Figur eintauche. Das ist ja das Spannende.
Frau Richter, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Text: Mathias Schulze