Midnight Movie, am 4. September um 18.15 Uhr auf dem Markt Halle, alle Termine des „Kulturspektakels“: www.buehnen-halle.de; „Midnight Movie“ läuft zudem ab 9. September im Alten Theater des Anhaltischen Theater Dessau, alle Termine: www.anhaltisches-theater.de
In diesem Jahr präsentieren sich am 3. und 4. September fast alle theatralen Spielstätten Sachsen-Anhalts auf dem Marktplatz in Halle. Präsentiert wird das Spektakel von den ‚Bühnen Halle‘. Das Anhaltische Theater Dessau schickt das Stück „Midnight Movie“ von Eve Leigh. Unter der Regie von Rebekka Bangerter geht es dabei um das Ineinandergreifen von materieller und digitaler Welt. Mathias Schulze hat die Regisseurin zum Gespräch gebeten
Hallo, Rebekka Bangerter, Sie haben sich mit der Frage, wie die Medialisierung unsere Wahrnehmung und Realität beeinflusst, beschäftigt. Gibt es grundlegende Überzeugungen, die Sie uns verraten können?
Es ist die Überzeugung, dass unsere Realität eine Hybride geworden ist. Also, dass die physische, die materielle Welt und die immaterielle, also die digitale Welt, nicht mehr zwei getrennte Systeme sind, die sich explizit unterteilen lassen. Vielmehr greifen die beiden immer mehr ineinander, beeinflussen sich gegenseitig, kreieren eine eigene, neue Realität, die wir gerade verhandeln. Ich glaube, dass wir uns im Alltag und auch beispielsweise auf Gesetzesebene und in der Gesellschaft viel zu wenig damit auseinandersetzen, was diese Verschränkung konkret für Konsequenzen hat. Die technologische Entwicklung eilt unserer psychologischen und soziologischen Entwicklung in vielem voraus.
Haben Sie Beispiele?
Wie gehen wir damit um, wenn wir im Metaversum einen sexuellen Übergriff erfahren? Dafür gibt es keine (wirkliche) Gesetzesgrundlage. Oder auch: Welchen Einfluss hat unser Medienkonsum auf unsere Aufmerksamkeitsspanne? Und was bedeutet das für ein Theaterpublikum? Was muss ich da als Regisseurin beachten? Aber auch Vorteile natürlich: Welche neue Möglichkeiten ergeben sich beispielsweise für die Inklusion von Menschen mit Behinderung?
Zu „Midnight Movie“: Wo liegt der Reiz des Stückes?
Den entscheidenden Twist möchte ich nicht verraten, aber grundsätzlich interessiert mich die Frage, ab wann man denn eigentlich „da“ ist, also teilnimmt, präsent ist – im Kontext einer hybriden Realität, die digital und live funktioniert. Das Stück geht um eine Person, die durch eine chronische Krankheit in den eigenen vier Wänden gefangen ist und sich durchs Internet versucht, von ihren Schmerzen abzulenken. Und dann, wenn man so will, ihr Leben durch andere Menschen lebt. Was heißt das eigentlich, wenn ich nicht am öffentlichen Leben teilhaben kann? Was tun wir als Gesellschaft dafür, dass Menschen mit unzuverlässigen Körpern Teilhabe ermöglicht wird? Was tut das Theater?
Auf der anderen Seite haben wir einen Luxus, den man selten hat, denn das Publikum ist zusammen durch eine kollektive Erfahrung gegangen: die Lockdowns. Also die Situation, dass man in den eigenen vier Wänden ist und da nicht weg kann. Diese Situation kennen wir jetzt irgendwie alle – auch wenn diese natürlich je nach Lebensstandard sehr unterschiedlich war. An diesem Punkt können wir ansetzen.
Wie kann man sich die Inszenierung vorstellen?
Wir versuchen ein Zusammenspiel aus Storytelling, „Physical Theatre“, elektronischem Sounddesign, projiziertem Text und Raumbühne zu kreieren. Übrigens mit einem wirklich tollen Team, in dem diese Art von komplexer, vernetzter Arbeit möglich ist!
Das Publikum soll eine Erfahrung machen, die zwischen Immersion (virtuelle Realität; Anm. d. Red.) und Draufsicht, zwischen 4D und 2D oszilliert. Bin ich gerade bei der Hauptfigur im Schlafzimmer? Oder findet das Geschehen woanders statt und die Internet-Realität schwappt in unsere Theaterbühne hinein? Auch die Frage der Zugänglichmachung des Abends beschäftigt uns sehr. Untertitel machen den Abend beispielsweise für taube Zuschauerinnen zugänglich und sind auch explizit Teil des Abends. Ich hoffe, wir können hier einiges leisten, allerdings stoßen wir in Bezug auf Fragen der Inklusion auch immer wieder auf viele Hürden. Diese Arbeit ist auf alle Fälle ein Augenöffner für mich.
Werden wir noch einmal grundsätzlich: Was ist das für eine Rolle, die Theater Ihrer Meinung nach heute einnimmt?
Theater ist so was wie ein Joker geworden. Der letzte weiße Fleck auf der Landkarte. Wir haben ja ein hochkomplexes und brutales System geschaffen, auf den Säulen des Kapitalismus, Imperialismus und Kolonialismus, der Globalisierung und Technologisierung. Und dieser Status Quo wirkt, obwohl ja auch hochkomplex, grundsätzlich extrem monopolisierend. Das ewig Gleiche wird wiederholt, und darin ist auch immer die Predigt von der Alternativlosigkeit erhalten. Das Gefühl der Einbahnstraße wächst. An diesem Punkt ist es nicht so einfach, überhaupt noch so etwas wie Hoffnung zu entwickeln. Theater ist darin ein Ort geblieben, der es ermöglicht, Alternativen, Zukunft oder andere Denkweisen zu erproben. Theater ist ein Proberaum für die Gesellschaft. Im Theater entscheide ich mich dafür, für eine bestimmte Zeit an einem Ort zu bleiben und diese Erfahrung mit anderen zu teilen. Und das ist und bleibt etwas Besonderes. Eve Leigh, die Autorin von „Midnight Movie“, sagt es einmal: „Es gibt keinen Ersatz für die Anwesenheit im Raum.“
Abschließend: Vollenden Sie bitte diesen Satz: „Ohne das Internet …
… würden wir ziemlich viel CO2 sparen. Das vergisst man ja oft. Und ist wieder so ein Beispiel, wie materiell das Immaterielle dann doch ist.
Text: Mathias Schulze