Gundermann - Blasse Blume auf Sand, 15. Dezember und 30. Januar, neues theater, jeweils 19.30 Uhr
Matthias Walter, Jahrgang 1975 und geboren in Ost-Berlin, ist einer der prägendsten schauspielerischen Charakterköpfe am neuen theater (nt). Grund genug, ihn zum Interview zu bitten
Hallo Matthias Walter, wie ist das eigentlich bei Ihnen, fühlen Sie sich als Ossi?
Ja, ich bin Ostler. Ich merke es immer noch und immer wieder – in Begegnungen, Gesprächen, Wahrnehmungen meiner selbst und anderer Menschen. Dieses Verständnis darüber, dass sich grundlegende Gegebenheiten nahezu von einem Tag auf den anderen ändern können, ist eine prägende Erfahrung. Oft ist mir eine Skepsis eigen, wenn ich auf eine zu positive Haltung hinsichtlich des Zukünftigen treffe, welche nur ein „Weiter so!“ beinhaltet.
Warum ist das so?
Wir brauchen dringend eine Transformation des Wirtschaftssystems! Diese muss unter Berücksichtigung der Bedürfnisse aller Menschen dieses Landes und dieser Welt gestaltet werden. Dafür braucht es mutige, politische Entscheidungen und eine gute Kommunikationsund Partizipations-Kultur, meiner Meinung nach eine Umstrukturierung der demokratischen Prozesse. Weg vom Parteien-System! Eine gesellschaftliche Transformation kann nur im Kleinen beginnen, wie auch der Umbruch der gesellschaftlichen und somit politischen Verhältnisse in der DDR im Kleinen begonnen hat.
Ein Statement! Was ist das für ein komischer Beruf, den Sie da haben?
Ein komischer Job, fürwahr. Ich möchte gleich auf die altmodische Bezeichnung „Beruf“ eingehen: Bei mir ist die Schauspielerei eine Berufung. Schon als Kind interessierten mich zwischenmenschliche Beziehungen und deren Auswüchse in alle Richtungen. Extreme Lebenslagen nachzuempfinden, im Positiven wie im Negativen, menschlichen Dilemmata nachzugehen - und das in Beziehung zur Umwelt, zur Gesellschaft: Das interessiert mich seit jeher. Was ist der Mensch für ein wunderbares, zur Liebe und Hingabe fähiges und gleichzeitig schreckliches Geschöpf, das sich und seinen Mitmenschen wissend die Lebensgrundlagen zerstört?! Die in meinem Beruf aktive Auseinandersetzung mit diesen Themen ist mir sehr wichtig. „Was ist der Mensch für ein wunderbares, zur Liebe und Hingabe fähiges und gleichzeitig schreckliches Geschöpf, das sich und seinen Mitmenschen wissend die Lebensgrundlagen zerstört?!“
Was lässt Sie neidisch auf andere Jobs schauen?
Oft schaue ich sehnsuchtsvoll in andere Berufe, die ein klares Arbeitspensum beinhalten, nach dessen Erledigung ein Feierabend winkt, der auch innerlich so bezeichnet werden kann. Nicht selten beschäftigen mich all die benannten Themenkomplexe, hinzukommend diverse Belange zwischenmenschliche Natur, welche im Arbeitsprozess am Theater grundlegend sind, bis in den Schlaf. Das führt zu einer stetigen Unruhe, die zwar auch produktiv wirken kann, jedoch auch Ressourcen raubt.
Das theatrale Konzert „Gundermann – Blasse Blume auf Sand“, das Sie gemeinsam mit Tristan Becker spielen, ist im Dezember zum 35. Mal zu erleben. Bei BuschFunk Berlin ist dazu eine Doppel-CD erschienen. Erklären Sie bitte das Erfolgsgeheimnis in einem Satz!
Gundermann war ein Mensch voller Widersprüche, wie wir alle es sind, wenn auch eventuell nicht ganz so ausgeprägt. Sein Lebenslauf wirft Fragen auf, lässt uns heute über vieles neu nachdenken. Die universelle poetische Kraft seiner Lieder sind in Wechselwirkung mit diesen Zusammenhängen in unserer Dramaturgie erfahrbar. Fragen nach Lebens-Sinn, Verantwortung, Ökologie und Idealen werden durch das gesungene Wort noch einmal intensiviert, Gänsehaut-Momente inklusive. Und das gemeinsame Lachen bleibt auch nicht aus.
Zehn Jahre spielen Sie in Halle am nt: Können Sie sich noch an ihre ersten Eindrücke erinnern?
Meine ersten Eindrücke liegen weiter zurück: Als Absolvent der Schauspielschule war ich zu einem Vorsprechen eingeladen, spielte also 1999 Peter Sodann Rollenausschnitte vor. Der gebar sich jedoch ziemlich desinteressiert uns Vorsprechenden gegenüber. Dies würde niemals mein Haus werden, sagte ich mir damals. Fünfzehn Jahre später trat ich mein Engagement unter der Intendanz von Matthias Brenner und der Chefdramaturgin und Regisseurin Henriette Hörnigk an, beide waren mir aus gemeinsamen künstlerischen Arbeiten bekannt, mir freundschaftlich zugetan. Ich fand ein starkes Ensemble mit tollen Kollegen und Kolleginnen vor.
Der damalige Eindruck hat sich …
… bestätigt und verstärkt. Ein großer Teil der Belegschaft des Hauses war damals sehr geprägt von Vergangenem, womit ich die DDRund (Nach-)Wende-Zeit meine, also die Zeit unter Peter Sodann. Diese Prägung trugen einige auch gerne vor sich her. Dies war nicht immer förderlich für den künstlerischen und kommunikativen Prozess, war aber offensichtlich notwendig. Matthias Brenner verstand es teilweise gut, die Menschen zusammenzuführen, versuchte die bestehenden Diskurse zu nutzen.
Und Mille Maria Dalsgaard und ihr Team …
... sind nun bemüht, kommunikative Prozesse anzustoßen und am Laufen zu halten, um daraus konstruktiv Entwicklungen in Gang zu bekommen, die hilfreich für uns alle sind - so unterschiedlich die bisherigen Lebenserfahrungen und Meinungen auch sind. Die dringend notwendigen Zusammenführungen der Menschen und Sichtweisen hier am Theater sind im Kleinen ein Ausrufezeichen an das Große, an die deutsche Gesellschaft im Ganzen. Meine ersten wichtigen Eindrücke waren nicht umsonst auch geprägt von künstlerischen Auseinandersetzungen mit der damals aufkommenden Pegida-Bewegung. Auch heute - und immer wieder - setzen wir uns am nt mit Themen wie Ausgrenzung, Umgang mit dem „Anders“-Sein, mit Krieg und dessen Folgen und dem Umgang mit Gesetzestreue und mit Gefühlen auseinander - für Alt und Jung. Mein Eindruck ist, dass ich am nt und Thalia richtig bin, weil ich Themen in die Öffentlichkeit tragen und Zeichen setzen kann - für mehr Gemeinsamkeit und Zusammenrücken.
Text: Mathias Schulze