Nora Schulte, Jahrgang 1993, ist seit der Spielzeit 2018/19 festes Mitglied des Neuen Theaters (nt). Aktuell ist die Schauspielerin in vielen Produktionen zu sehen, auch in „Vögel“, das am 28. Februar Premiere feiert. Wir haben bei Nora Schulte nachgefragt. Ein Gespräch über Netflix, Theater, das Altern, Nina Hoss und Follower bei Instagram
Der erste Satz auf der Homepage der Bühnen Halle weist sie als echtes Berliner Urgestein aus.
Ich bin Berlinerin durch und durch: zwar mehr herzlich, als hart, aber ich trage beides in mir. Insofern komme ich in Halle wunderbar klar. Ich habe bis 2018 in München Schauspiel studiert. Dort brauchte ich etwas länger, um mich mit dem Schlag Mensch anzufreunden.
Haben Sie früh gewusst, dass in Ihnen ein Schauspieltalent schlummert?
Obwohl es in meiner Familie viele Theatermenschen gibt, habe ich vor dem Vorsprechen in München kaum Theater gespielt. Aber ich habe viel beobachtet. Die Aufnahmerpüfung wollte ich probieren, damit ich später nicht an eine vergebene Chance denken muss.
Gerade waren Sie in der TV-Serie „Das Boot“ zu sehen. Sind solche Ausflüge als fest Engagierte am nt auch möglich?
Ich habe das Glück, dass unser Intendant Matthias Brenner auch fürs Fernsehen arbeitet. Nicht nur deswegen lässt er auch den Festangestellten diese Freiheit, letztlich ist das auch gut fürs hiesige Theater. Aber diese Freiheit ist nicht üblich. Insofern ist das nt für mich auch ein kleiner Jackpot.
Sie spielen in solch politischen Stücken wie „Cabaret“, „Zeit der Kannibalen“ oder auch „Kabale und Liebe“. Muss eine Schauspielerin politisch- gesellschaftlich top informiert sein?
Man kommt auch ohne durch, ich glaube, das sieht man auch oft genug. Ich erachte es jedoch als meine Verantwortung, mich übers Weltgeschehen zu informieren. Klar, es kommt auf die zu verkörpernde Figur an, aber es gibt schon viele Rollen, die mit einem politisch-gesellschaftlichen Bewusstsein noch einmal eine ganz eigene, aktuelle und besondere Facette bekommen.
In welcher Rolle und Funktion sehen Sie das Theater?
So einige. Theater hat für mich einen Bildungsauftrag. Vergangenes und Aktuelles kann auf eine dem Theater eigene Weise vermittelt werden. Zugleich ist es natürlich auch ein unterhaltendes Medium, welches die Fantasie beflügelt, nährt und fordert.
Mit einem Klischee gefragt: Sehen das jüngere Menschen mit Netflix- Abo auch so?
Theater ist viel unmittelbarer als jedes TV-Erlebnis. Es hat einen anderen Charme, eine andere Aura. Es bietet viel mehr sinnliche Ebenen und Zwischentöne – auch was den Unterhaltungsfaktor angeht. Im Theater kann jederzeit etwas schief gehen, man kann die Schauspielenden danach in der Kantine treffen (lacht). Für dieses Unperfekte, für dieses Nahe, das die verschiedensten Sinne ganz anders stimuliert, lohnt es sich, den Arsch von der Netflix-Couch zu heben.
Was unterscheidet eine gute von einer sehr guten Schauspielerin?
Eine gute Schauspielerin weiß, mit welcher Technik sie dies und das abliefern kann. Eine sehr gute Schauspielerin schafft es, die Technik gewissermaßen mitzunehmen und gleichzeitig fallen zu lassen. Sie schafft es, ihr Spiel mit einer – auch eigenen – Emotionalität zu verbinden, die das Publikum in der Seele trifft. Technik, Emotionalität und Intellekt fließen dann zusammen.
Kann man das lernen, eine sehr gute Schauspielerin zu sein?
Ich glaube, man kann an der Technik unendlich lange feilen, bei dem anderen bin ich mir nicht sicher.
Können Sie Beispiele für sehr gute Schauspielerinnen nennen?
Die gebürtige Bielefelderin Susanne Wolf. Und Nina Hoss. Das sind zwei Frauen, die für mich, sowohl vor der Kamera als auch auf der Bühne, eine einzigartige Authentizität gewonnen haben – man verzeihe mir diesen überangestrengten Begriff. Die beiden haben es geschafft, sich mit allem, was sie haben, dem Spiel auszuliefern.
Hat das was mit Lebensjahren zu tun?
Die Offenheit dafür kann man auch in jungen Jahren haben, aber im Fortschreiten des Alters kann es sich zweifellos vertiefen.
Hat die Schauspielerin Nora Schulte Angst vor dem Älterwerden?
Überhaupt nicht, die spannendsten Rollen sind ehe fast alle älter.
Welche sind das?
Nur zwei Beispiele: Hedda Gabler von Henrik Ibsen. Oder Klytaimnestra von Euripides. Warum gerade diese Rollen?
Es sind komplexe Frauenfiguren mit Abgründen, mit einer düsteren Aura. Da kitzelt der Spielteufel und sucht die Herausforderung.
Sucht sich dasjenige, was die Rolle ausmachen soll, die Schauspielerin oder die Regisseurin aus?
Im besten Fall suchen beide gemeinsam. Es kommt aber immer drauf an. Manchmal hat man eine Vorstellung zu erfüllen, manchmal wird man extra besetzt, um zu schauen, was man draus macht.
Welche Rolle spielen für Schauspielende die „sozialen Medien“?
Nur ein Beispiel, kurz zusammengefasst. Ich war bei einem Casting in München, es hieß: Du bist perfekt! Es gab nur einen Haken: Ich hatte nicht genügend Follower auf Instagram. Die Rolle ging letztendlich an eine Influencerin ohne Schauspielerfahrung …
Danke, das reicht mir schon. Warum sollte man zu „Vögel“ kommen?
Weil dieses Stück ein Konglomerat an Themen behandelt, die wichtig, aktuell und berührend sind. Um nur ein paar Dinge zu nennen: es geht um die Komplexität von Identität, Wahrheit, Liebe und Angst. Abgesehen davon ist es natürlich immer ein innerliches Blumenpflücken, meine Kollegen spielen zu sehen.
Text: Mathias Schulze