Nicht nur Intendant Matthias Brenner hat sich dieser Tage vom nt verabschiedet. Auch die Schauspielerin Nora Schulte, die treuen Theatergängern in den letzten Jahren ans Herz gewachsen ist, verlässt das Bühnenhaus. Warum? Mathias Schulze hat nachgefragt
Man übertreibt nicht, wenn man sagt, dass Sie in fünfeinhalb Jahren zu einer der beliebtesten Schauspielerin im neuen theater aufgestiegen sind. Warum ist jetzt Schluss?
Ich bin froh, dass man grade mein Gesicht nicht sehen kann. Ich bin so rot, dass ich sicher im Dunkeln leuchte.
Die Tücken des berechtigten Lobes ... Nun aber, noch einmal: Warum ist Schluss?
Ich bin damals direkt von der Uni hier her und fünfeinhalb Jahre festes Mitglied dieses fantastischen Ensembles gewesen. Letztes Jahr im Sommer spürte ich es deutlich: Ich möchte eine Veränderung. Da ist so viel Neugierde in mir auf alles, was sonst noch so möglich ist in diesem Beruf. Ich schließe aber nicht aus, wieder ein Festengagement anzunehmen. Ich weiß, ich bin ein absolutes Ensembletier. Aber jetzt grade brauche ich erst einmal neuen Input.
Stellen wir die Zukunftsfrage vorerst zurück: Mit welchen Ambitionen sind Sie am neuen theater gestartet?
Mit dem Wunsch zu lernen, Erfahrungen zu sammeln und zu wachsen. Das ist zu 100 Prozent geschehen. Wenn ich zurückschaue, empfinde ich vor allem eine große Dankbarkeit. Dieser Ort und die Menschen waren und sind ein Geschenk, ich hätte mir keinen besseren Start ins Berufsleben wünschen können.
Was haben Sie am nt gelernt?
Die wichtigste Erkenntnis für mich als Spielerin ist, dass Perfektion der Killer für Kreativität ist. Ich habe nach dem Studium versucht alles „richtig“ zu machen. Bis ich verstanden habe, dass das, was an Spieler und Spielerinnen interessiert, die Macken und Eigenheiten sind, die aus dem vermeintlichen Rahmen fallen. Spielen, interagieren, nicht mit fertigem Fahrplan ankommen, nicht abliefern wollen. Einfach da sein und reagieren. Dann macht’s nämlich noch viel mehr Spaß. Klar, Exaktheit ist ein wichtiges Pfund in diesem Job, eine Fertigkeit, die an den richtigen Stellen genau so wichtig ist wie Spielfreude. Aber Exaktheit ist etwas anderes als Perfektion. Vielleicht bin ich auch durch diese Erkenntnis nachsichtiger mit mir selbst geworden. Bestimmt sogar.
Ein kleines Beispiel?
Ich arbeitete mal mit meinem Vater zusammen, der auch Schauspieler ist. Es ging um Anton Tschechows „Möwe“. Ich spielte die Nina, wir unterhielten uns über einen Vorgang auf der Bühne. Meiner Meinung nach, war sein Vorschlag nicht im Rahmen dessen, wie ich es für „richtig“ hielt. Ich guckte ihn irritiert an und sagte: „Papa, dieser Vorgang ist absolut unlogisch!“ Er grinste zurück: „Ja, Nora. Aber es macht Spaß!“ Mittlerweile habe ich verstanden, was er meint. Ich schmunzle oft, wenn ich an diese Geschichte denke. Es muss nicht alles Sinn ergeben, aber es muss Spaß machen. Und noch eine wichtige Erkenntnis: Ich sterbe nicht, wenn ich mal den Text vergesse! Danke an unsere Hammer-Souffleusen!
Hat es eine Rolle gegeben, die Sie besonders geprägt hat?
Man nimmt immer was mit. Natürlich hab ich einige Rollen am liebsten gespielt wie beispielsweise die Inga in „White Male Privilege“. Oder die Kat in „Die Mitte der Welt“. Aber wenn ich nochmal an die Antwort der letzten Frage anknüpfe, dann war es die Warja im „Kirschgarten“. Ich habe so mit mir gekämpft, Thema „Perfektion“. Diese Rolle hat meinen Blick auf mich als Spielerin und als Privatperson nachhaltig geprägt. Ich muss nicht immer alles schaffen, nicht immer alles verstehen und durchdringen. Ich muss nur offen sein, offen bleiben für das, was da ist – in mir und auf der Bühne mit den Kollegen. Das war das erste Mal, dass ich nicht immer vorher in den Text geguckt habe. Ich wollte mich überraschen lassen. Das war eine wunderbare Erfahrung. Wenn auch mit Schmerzen verbunden. Aber ich habe mir sagen lassen, dass auch Wachstumsschmerz ein guter ist – in der Retrospektive. Die Frage aller Fragen bleibt nicht aus:
Was machen Sie jetzt?
Ich will schauen, was sonst noch so geht. Ich arbeite neben meinem Job auf der Bühne schon einige Jahre als Sprecherin für Hörbücher in Leipzig. Diesen Job möchte ich gern ausbauen. Dann gibt’s ja auch noch Film und Fernsehen. Ich klinge wie ein Nimmersatt! Aber ja, so ist es. Der Bühne bleibe ich treu, das ist mir sehr wichtig! Ich spiele die kommende Spielzeit am Staatstheater Braunschweig als Gast und hab ein paar Dinge in der Pipeline, die ich noch nicht verraten will.
Bleiben Sie in Halle?
Ich bleibe mit Mann und Hund erst einmal in Halle. Ist einfach ein guter Ort, ich fühle mich hier pudelwohl. Ich habe es auch jetzt in der Vorbereitung auf die Selbstständigkeit gemerkt: Ich komme gern nach Hause. Denn das ist Halle mittlerweile: Zuhause.
Sie kommen ursprünglich aus Berlin. Wie nehmen Sie die Stadt aktuell wahr?
Halle wird immer hipper. Sagt man das noch so?
Wir wissen, was gemeint ist.
Studentenstadt war Halle schon immer, aber ich glaub’, so langsam spricht sich rum, dass man hier gut leben kann. Wenn ich daran denke, wie viele gute Restaurants und Cafés in der letzten Zeit aus dem Boden geschossen sind – Tendenz steigend. Und dann kommt auch noch das Zukunftszentrum.
Fluch und Segen zugleich?
Auf der einen Seite wünsche ich Halle Anerkennung, Wachstum, Bereicherung. Auf der anderen Seite muss ich egoistisch sagen, dass Halle für mich lieber die geheime Saale-Perle bleiben darf. Lieber Perle als Metropole. Ich schmunzle oft, wenn ich unterwegs bin und gefragt werde, wo ich wohne.
Die erste Reaktion …
… ist meist noch ein „Oh, echt? Aber du willst da doch bestimmt unbedingt schnell weg, oder?“ Nö, will ich nicht. Es ist vielleicht gut, wenn sich nicht so doll rumspricht, wie sehr man sich in Halle verlieben kann.
Text: Mathias Schulze