Johannes Nichelmann – „Nachwendekinder. Die DDR, unsere Eltern und das große Schweigen“, 6. November, 20 Uhr, WUK-Theaterquartier am Holzplatz 7a
Johannes Nichelmann, Jahrgang 1989, arbeitet als freier Reporter, Autor und Moderator für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Mit dem Buch „Nachwendekinder. Die DDR, unsere Eltern und das große Schweigen“ will er einen „blinden Fleck in der Geschichte“ beleuchten. Hierfür interviewte er „Nachwendekinder“. Am 6. November um 20 Uhr stellt Nichelmann sein Buch im WUK-Theater-Quartier vor. Wir haben vorab mit Nichelmann gesprochen
Johannes Nichelmann, Sie sind Jahrgang 1989. Was haben Sie mit der DDR zu tun? Was ist die Grundidee des Buches?
Mit der DDR als Staat habe ich eigentlich nichts zu tun, abgesehen davon, dass meine Geburtsurkunde und mein Impfausweis noch Zeugen davon sind, dass ich in einem Staat geboren bin, in dem ich nicht aufgewachsen bin. Dennoch hat sich die Gesellschaft ja nicht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 mit einem Klick verändert. Die Familien oder beispielsweise die Erwachsenen in der Schule – sie alle haben meine Generation natürlich mitgeprägt. In dem Buch geht es darum, dass es noch genügend Familien gibt – sicherlich nicht alle – in denen über die Zeit vor der Friedlichen Revolution und während der Transformation zu wenig bis gar nicht gesprochen wurde. Es bleibt doch oft im Anekdotenhaften. Gleichzeitig bin ich als Kind mit einem DDRBild aus den Medien aufgewachsen, das eher aus Stacheldraht bestand. Im Geschichtsunterricht standen dann Wirtschaftswunder und RAF auf dem Lehrplan, also nicht die Geschichte der Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin.
Und worin besteht das Problem?
Für einige Nachwendekinder ist es schwer nachzuvollziehen, wo ihre Eltern eigentlich herkommen. Das macht es auch schwierig, das eigene biographische Fundament zu verstehen. Zugespitzt gesagt, war die DDR auch in meiner Wahrnehmung lange Zeit entweder ein 40 Jahre währender Sommerausflug an die Ostsee oder ein 40 Jahre langer Aufenthalt im Stasi-Knast. Alles, was dazwischen liegt, ist nur schwer greifbar.
Aber worin genau sehen Sie die „problematische Erinnerungskultur“ bezüglich der DDR, von der der Klappentext Ihres Buches spricht?
Ich finde es außerordentlich richtig und wichtig, dass die Geschichten der Opfer der SEDDiktatur eine große Rolle in unserer Wahrnehmung einnehmen. Dennoch glaube ich, dass viele Geschichten über das Leben der Menschen aus „dem Osten“ noch nicht erzählt worden sind, dass manche bislang nur wenig Raum hatten, sich ausdrücken zu können. Das gilt eben auch für den heimischen Küchentisch.
Ich habe viele Nachwendekinder getroffen, denen es gar nicht so leicht fällt, auch nachzufragen. Zu groß ist die Angst, alte Wunden aufzukratzen.
Außerdem: Ostdeutschland wird allzu oft verallgemeinert. Dass es Unterschiede zwischen Leuten aus Vorpommern und Leuten aus dem Thüringer Wald gibt, scheint in der öffentlichen Wahrnehmung keine große Rolle zu spielen. Und wir sollten endlich anfangen, Probleme wie Rechtsradikalismus oder Strukturwandel als gesamtdeutsche Probleme zu betrachten, was sie ja sind. Nicht als primär ostdeutsche Phänomene.
Was hätten, polemisch ausgedrückt, „die Sieger der Geschichte“ anders machen können? Oder anders gefragt: Unterliegt auch eine Schwarz- Weiß-Zeichnung einer gewissen „Gesetzmäßigkeit“, die erst jetzt, 30 Jahre später, in Zwischen- und Grautöne aufgelöst werden kann?
Ich finde den Begriff des „Siegers der Geschichte“ äußerst schwierig. Für mich macht er ein Gespräch gar nicht erst möglich – da schwingt so viel Vorwurf und Verletzung mit. Das empfinde ich nicht als Sache „meiner“ Generation – ohne gleich für alle Nachwendekinder sprechen zu wollen. Aber vielleicht stimmt es, dass bestimmte „Verhärtungen“ in der Gesellschaft eine gewisse Zeit brauchen, bis sie angegangen werden können. Transformationsprozesse in Gesellschaften dauern in der Regel 30 bis 50 Jahre – so gesehen stehen wir also noch sehr am Anfang.
Nehmen wir mal an, Sie wären Politikberater: Welche Vorschläge bezüglich des Umganges mit der DDR-Geschichte würden Sie machen?
Keine Ahnung, ob es gut ist, diese wichtige Frage an „die Politik“ zu delegieren. Erinnerungskultur fängt ja zu Hause an. Ich habe für meine Recherche einen Vater getroffen, der seinem Sohn (Jahrgang 1991) die DDR bewusst in schillernden Farben präsentiert hat, um ein privates Gegengewicht zu „ZDF History“ zu sein, wie er sagte. Ich würde mir wünschen, dass in den Familien offen über alles gesprochen werden kann – auch, wenn das manchmal anstrengend und kräftezehrend sein kann. Die Debatte über die Geschichte der DDR muss offen und ehrlich geführt werden, sonst gibt es für meine Generation keine Möglichkeit, die richtigen Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen.
Text: Mathias Schulze