Lange Wochen der Nachhaltigkeit, 18. September bis 8. Oktober, in und um Halle, alle Veranstaltungen: www.lange-wochen.de
Am 18. September starten die Langen Wochen der Nachhaltigkeit in und um Halle. Das FRIZZ-Magazin hat bei Diana Neumerkel, Grit Herzog und Anne Hafenstein vom beteiligten Verein WohnUnion nachgefragt
Hallo zusammen, was sind denn die Langen Wochen der Nachhaltigkeit?
Herzog: Sie sind Teil der bundesweiten und europäischen Aktionstage Nachhaltigkeit. Diese wurden vom Rat für Nachhaltige Entwicklung ins Leben gerufen, um das vielfältige Engagement rund um die 17 Nachhaltigkeitsziele sichtbar zu machen. In Sachsen-Anhalt finanziert das Ministerium für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt die Koordination. Projektträger ist der Verein mohio. Organisiert werden die Tage von Menschen aus unterschiedlichen Vereinen. Hafenstein: Wir zeigen, was alles in und um Halle zu Nachhaltigkeit passiert. Wir schaffen Austausch und Vernetzung. Darum geht es auch in der Hauptveranstaltung am 27. September auf dem Stiftsgut Stichelsdorf. Unser Ziel ist es, Stadtverwaltung, Unternehmen, Bildungseinrichtungen und Klimaaktive zusammen zu bringen, neue Allianzen zu bilden. Wir werden die Klimakrise und all die anderen Herausforderungen nur mit vielfältigen Ideen, Perspektiven, Fähigkeiten und Ressourcen bewältigt können.
Die diesjährigen Themen sind?
Neumerkel: „Die Biodiversität und für Sachsen-Anhalt zudem noch Strukturwandel: Themen, die zusammen gedacht werden müssen. Passend dazu ist unser Motto dieses Jahr Zusammenspiel – angelehnt an das kulturelle Themenjahr in Halle.
Was ist Biodiversität?
Neumerkel: Biodiversität umfasst die Vielfalt aller lebenden Organismen und ihrer Lebensräume weltweit. Besonders bekannt ist der Begriff Artenvielfalt. Viele Arten und Lebensräume sind aktuell stark bedroht. Die Vielfalt ist entscheidend für unser Überleben: Nahrung, sauberes Wasser und Luft, selbst Medikamente hängen davon ab. Viele Organismen und Ökosysteme erfüllen für uns wichtige Aufgaben. Hafenstein: Da wir als Menschen eng mit der Natur verknüpft sind, sprechen wir von „Mitwelt“ statt „Umwelt“. Weil wir ein Teil davon sind, in Abhängigkeit zu ihr. Das schafft auch Ängste, die lähmen können. Darum ist es wichtig, da anzusetzen, wo wir selbst einen Beitrag leisten können, um ins Tun zu kommen. Unser Handeln beeinflusst die Biodiversität und auch die Klimakrise, diese beeinflussen sich wiederum wechselseitig. Darum ist es notwendig, Biodiversität zu schützen und zu fördern. Je artenreicher ein Ökosystem ist, desto besser kann es Störungen - krasse Hitze, langanhaltende Trockenheit, Starkregen oder Überschwemmungen – ausgleichen. Das hilft auch in der Klimakrise.
„Klimakrise“: Neigen Sie zu Optimismus oder Pessimismus?
Nehmen wir den blauen Planeten in den Blick. Neumerkel: Pessimistisch, was das 1,5 Grad-Ziel betrifft. Global gesehen schaffen wir es momentan nicht, die Treibhausgas-Emissionen zu senken. Im Gegenteil, sie werden jedes Jahr mehr. Auch der Erdüberlastungstag rückt immer weiter nach vorne. Dabei ist Deutschland beim Treibhausgas unter den ersten zehn Staaten weltweit, die am meisten ausstoßen und beim Überlastungstag unter den ersten 20 Staaten, die am meisten verbrauchen.
Das bedeutet?
Neumerkel: Würden alle Menschen so leben wie in Deutschland, bräuchten wir 1,7 Erden! Das ist ungerecht gegenüber anderen Staaten, die viel weniger Ressourcen verbrauchen oder Treibhausgas ausstoßen. Die meisten Menschen in Deutschland leben also auf Kosten anderer. Hafenstein: Auch in Deutschland gibt es eine krasse soziale Ungleichheit. Während die einen mit Privatjets rumfliegen, ist es für andere schon schwierig, sich Bio-Lebensmittel oder eine Solaranlage auf dem Dach zu leisten. So lange dem Großteil der Bevölkerung keine guten und für sie leistbaren Lösungsansätzen bezüglich Klimakrise und globale Gerechtigkeit angeboten werden, wird sich wenig ändern. Herzog: In jeder Krise liegt das Potenzial für Veränderung. Es kann vieles so viel besser werden! Was mich freut: In Halle und weltweit sind bereits viele Menschen dabei, neue Ideen eines guten Lebens für alle zu entwickeln.
Konkret zu Halle: Was lässt Sie hoffen?
Hafenstein: Es gibt hier viel ehrenamtliches und zivilgesellschaftliches Engagement. Die Plattform „Klima engagiert in Halle“ macht dies sichtbar: Bildungsangebote von Vereinen rund um nachhaltige Entwicklung, Aktivismus und renommierte Forschungseinrichtungen, die sich beispielsweise mit Biodiversität beschäftigen. Halle Zero hat einen Klimastadtplan für ein klimaneutrales Halle 2030 entwickelt. Es gibt eine Ernährungsrat-Initiative und solidarische Landwirtschaften beziehungsweise Biohöfe in der Region, die die Menschen mit Nahrung versorgen. All diese verschiedenen Bausteine können gut zusammen spielen.
Wo ist Steigerungspotenzial?
Herzog: Die Umsetzung von Nachhaltigkeit in den Unternehmen, öffentlichen Institutionen oder in der Kommunalpolitik. Alle reden davon, aber es passiert zu wenig. Auch die Förderung zivilgesellschaftlicher Akteure, die zu Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Biodiversität arbeiten, fällt viel zu gering aus. All die Dinge, in die wir jetzt nicht investieren, werden uns später um so mehr kosten. Man sieht das in den Bereichen Schulbildung und Gesundheitsversorgung in Deutschland. Auch die Umweltfolgekosten sind weitaus höher, als die jetzigen Investitionskosten wären. Wirtschaftlich gesehen macht es keinen Sinn, hier auf die Bremse zu treten!
Text: Mathias Schulze