„Es war da eine Zeit. Erinnerungen an die DDR“, 15. November, Luchskino, 17 Uhr, anschließende Diskussion mit Staatsminister Rainer Robra (CDU), Regisseur Axel Geiss, Kameramann Uwe Mann und Katrin Schumacher (MDR Kultur)
Manfred Dahms, Eckhard Netzmann und Wera Thiel, zwei ehemalige Generaldirektoren und eine Wissenschaftlerin, wollten mit der DDR eine neue Gesellschaft aufbauen. Doch die innere Bindung an den Staat ging verloren. Der Filmemacher Axel Geiss, Jahrgang 1944, wird am 15. November seinen Dokumentarfilm „Es war da eine Zeit. Erinnerungen an die DDR“ im Luchskino vorstellen. Vorab haben wir Geiss zum Gespräch Gebeten
Beim Thema „DDR“ fangen nicht viele dort an, wo es eigentlich angefangen hat: beim Faschismus, beim Wunsch, dieses unbeschreibliche Elend, diesen unvergleichlichen Massenmord nicht noch einmal erleben zu wollen. Haben Sie eine gewisse Traumatisierung bei Ihren Gesprächspartnern festgestellt, die die anfänglich glühende Anhängerschaft zur DDR begreiflich macht?
Traumatisierung habe ich nicht bemerkt. Die Protagonisten sind Jahrgang 1936 beziehungsweise 1938, sie haben den Zweiten Weltkrieg als Kinder erlebt, mit mehr Distanz als ihre Eltern. Aber ihre Eindrücke waren tief und sind immer noch gegenwärtig. Sie haben den starken und lebenslangen Impuls ausgelöst: Nie wieder Krieg, nie wieder diese Gesellschaftsordnung! Wichtig war auch ihre soziale Herkunft. Die Protagonisten waren Arbeiter- bzw. Flüchtlingskinder. Der Sozialismus, der Aufbau einer neuen, gerechten Gesellschaft war für sie ein hehres Ziel und eine früher undenkbare persönliche Chance. Folgerichtig wurden sie Mitglied der SED, aber sie waren weder „glühende“ Anhänger des Staates noch fanatische Verfechter der Parteidoktrin.
Waren oder sind Ihre Protagonisten dennoch (unverbesserliche) Sturköpfe?
Über bornierte Sturköpfe hätte ich keinen Film gemacht. Dummheit ist nicht nur tödlich für einen Staat, sondern auch für einen Film; man ärgert sich beim Drehen – und beim Ansehen noch mehr. Die Protagonisten haben sich im Laufe der Jahre – wie viele DDR-Bürger – innerlich von der herrschenden Ideologie gelöst. Aber sie erfüllten ihre Pflicht. Und sie sahen keine realistische Alternative. Die BRD war es nicht. Und gravierende Veränderungen in der DDR waren zwar von vielen gewünscht, aber wirklich vorstellbar waren sie nicht.
In der Presseankündigung steht: „Den Wettbewerb mit der Bundesrepublik kann die DDR nicht gewinnen.“ Geht der Film auf die genauen Gründe dafür ein?
Ja, der Film schildert die Erfahrungen von zwei ehemaligen Generaldirektoren, die große DDRKombinate geleitet haben, und einer Professorin für Arbeitsrecht. Die Protagonisten benennen Beispiele und Gründe, weshalb die DDR ab den 70er Jahren, nach Honeckers Machtübernahme, auf den wirtschaftlichen Exodus zuschlitterte.
Gehen wir zurück, halten wir die Zeit an. Was sind die wesentlichsten Punkte, die in einer idealen Welt, die es nicht gibt, ‘89 hätten anders laufen sollen? Und warum?
Die Vereinigung wäre von Fachleuten aus beiden Staaten und gleichberechtigt vorbereitet und umgesetzt worden – eine Illusion. Die Fachleute gab es, aber sie wurden nicht gefragt und nicht gehört, ihre Ratschläge wurden verworfen. Es kam, wie es kommen musste: Wer das Geld hat, hat die Macht, und wer die Macht hat, setzt sich durch. 1989 und 1990 kam hinzu: Die Mehrheit in der DDR wollte es so.
Welche Erinnerungen an die DDR können uns heute von Nutzen sein?
Ohne Herkunft keine Zukunft. Erinnerung ist immer von Nutzen, wenn sie mit kritischer und selbstkritischer Sicht verbunden ist. Und sie ist individuell. Jede Person hat eigene Erfahrungen, und diese in die neue Gesellschaft einzubringen, nützt der Gemeinschaft. Bezogen auf die DDR, heißen einige dieser Erfahrungen: Selbstbestimmt und solidarisch zu leben, ist auch in einem repressiven Staat nicht unmöglich. Man muss lernen und sich trauen, „Nein“ zu sagen. Der Staat ist das Machtinstrument der herrschenden Klasse; und in einer Diktatur, wie der DDR, ist diese „Klasse“ eine Kaste. Macht verdirbt den Charakter, und ohne Gier lebt man besser. Wichtiger als Ideologie und Parolen sind ethische Werte, Gemeinschaftssinn und Zukunftsvorsorge.
Text: Mathias Schulze