„1989 – Vielleicht ist ja morgen schon alles anders…“, 3., 4., 5., 7. und 9. November, 20 Uhr, am 5. und 9. November auch um 10 Uhr, www.wuk-theater.de
Man kennt ihn in Halle, Martin Kreusch, als Schauspieler, Autor und Regisseur. Aktuell inszeniert er im WUK Theaterquartier sein Stück „1989 – Vielleicht ist ja morgen schon alles anders …“. Unter andrem deshalb haben wir Herrn Kreusch zum Interview gebeten
Lieber Martin Kreusch, Sie sind nun auch ehrenamtlicher Schöffe. Wie sind Sie denn dazu gekommen?
Ich habe das auf der Homepage der Stadt gefunden: „Schöffe gesucht!“. An diesem Tag war mir grad langweilig, da habe ich mich online eingetragen und beworben. Tja, und dann wurde ich angenommen. Mittlerweile bin ich sogar schon in meiner zweiten Amtszeit. Sehr interessant.
So einfach? Brauchten Sie eine spezielle Qualifizierung? Was machen Sie denn da genau?
Man muss deutscher Staatsbürger und über 27 Jahre alt sein. Und man darf nicht vorbestraft sein, glaube ich. Gesundheitlich Fitness war nicht erforderlich und juristische Vorbildung auch nicht. Die sind wirklich über jeden froh, der sich selbst dafür bewirbt und nicht zwangsrekrutiert werden muss. Denn Schöffen braucht unser Rechtssystem. Und das ist auch gut so, denn in Deutschland soll ein Rechtsakt ein öffentlicher Akt sein. An der Rechtssprechung sollen nicht nur Richter und Staatsanwälte beteiligt sein. Werde ich bei Fällen eingesetzt, habe ich das gleiche Stimmrecht wie der Richter. Ich bin natürlich an den Rechtsrahmen gebunden, werde beraten und geführt. Und es werden ständig Leute gesucht, die das ehrenamtlich machen. Man wird dann von seiner Arbeit auch freigestellt.
Haben Sie sich davon schon künstlerisch inspirieren lassen?
Noch nicht. Was es getan hat? Es hat meinen Glauben an den Rechtsstaat verstärkt.
Zum Stück „1989 – Vielleicht ist ja morgen schon alles anders…“: Beim Lesen der Ankündigung hatte ich das Gefühl, hier liegt der Wunsch vor, noch einmal neu anzufangen, noch einmal mehr als 30 Jahre zurückzugehen. Stimmt das?
Ja, ich selbst bin in erster Linie froh, dass es 1989 zur „Wende“ kam. Ich war damals 12 Jahre alt und durch die Positionierung meiner Eltern und meiner Großeltern zur DDR, wäre so manches ziemlich schwierig geworden. Ich bezweifle sehr, dass ich hätte studieren dürfen…
Und was würde man, könnte man ´89 noch einmal starten, dann anders machen können?
Sie fragen nach dem „Dritten Weg“?
Auch.
Ja, ich denke, Chancen und Möglichkeiten für einen wirklichen demokratischen und sozialistischen Staat waren gegeben. Aber ich weiß auch, dass das die damalige Stimmung irgendwann mit dem Wechsel von „Wir sind DAS Volk“ zu „Wir sind EIN Volk“ nicht mehr gegeben war. Und im Nachhinein lässt sich schwer diskutieren und mutmaßen. Wichtig ist, heute daraus zu lernen. Aufstehen und sich einbringen, wenn es nötig ist und wenn ich sehe das etwas schiefläuft. Wählen gehen. Sich sozial engagieren. Ich denke, diese Botschaft ist auch eine, welche am Ende meines Stückes steht. Jeder kann politisch sein. Auch im Kleinen. In meiner Raststätte in Köckern, hat am Ende des Abends zumindest eigentlich jeder seinen Teil für den Fall der Mauer beigetragen. Die eine mehr, der andere vielleicht etwas anders. Und Unvorhergesehenes und Überraschendes gibt es immer.
Sie haben das Stück selbst geschrieben. Warum?
Ja, das ist sozusagen mein Erstlingswerk. Ich wollte mich sehr gern mit meinem ´89 auseinandersetzen - künstlerisch auf der Bühne. Die eigentliche Idee war eine Stückentwicklung gemeinsam mit meinem tollen Ensemble, die enge und notwendige Vorarbeit im Frühjahr 2020 war uns leider coronabedingt nicht möglich. So habe ich mich dann recht bald entschlossen, selbst dieses Stück zu schreiben. Eine spannende Erfahrung und ganz bestimmt nicht das letzte Stück, welches ich geschrieben habe. Schließlich habe ich es dann auch noch selbst inszeniert und das war noch einmal spannend, denn der Regisseur entdeckt in Text und Szene viele Dinge, die der Autor „vielleicht“ beim Schreiben gar nicht so gesehen oder gedacht hatte. Oder doch? Naja, ich wollte dem Autor dann auch nicht ständig auf die Nerven gehen, nur weil ich den persönlich kenne. (lacht)
Sie sind Jahrgang 1978. Wie blicken Sie denn auf ´89 und alles, was danach passierte?
Im Herbst 1989 lebte ich in Oederan, eine Kleinstadt zwischen Freiberg und Chemnitz, damals noch Karl-Marx-Stadt. Obwohl ich erst 11 Jahre alt war, habe ich das Gefühl, diese hochpolitische und aufregende Zeit sehr intensiv und wissend und miterlebend wahrgenommen zu haben. Über die schwierige Situation in der DDR – die Stasi – das Verhältnis zwischen Kirche und Staat, war ich von klein auf informiert und irgendwie mittendrin. Meine Eltern waren beide zu dieser Zeit bei der Evangelischen Kirche beschäftigt und aktiv im Gesprächskreis und in dem in Oederan um 1986 herum gegründeten „Ökokreis“. Was das war, wusste ich damals nicht, jedoch wusste ich – denn ab und zu fanden diese Treffen ja auch bei uns zu Hause statt – dass es „wichtig“ ist.
Was wurde denn da besprochen?
Was gesprochen wurde, weiß ich nicht, ich weiß, dass ich nicht genug davon hören konnte. Mein Großvater war Pastor der evangelisch-methodistischen Kirche und zu Geburtstagen und anderen Familienfesten, aber spätestens zum Kaffeetrinken stritten sich er und mein Großonkel lauthals über die Probleme der DDR. Die Frauen versuchten diese Streits zu schlichten, Großvater und Onkel Horst, der irgendwie zumindest die sozialistische Idee gut fand und von der Kirche schwer enttäuscht war, reagierten darauf nie. Ich fand es zu jedem Familienfest aufs Neue hochspannend und unterhaltsam und fand es auch deswegen oft sehr schade, wenn sich nach dem Abendessen alle auf den Weg machten.
Ich wusste immer, dass ich von den Dingen, die zu Hause besprochen und diskutiert wurden, zum Beispiel in der Schule nichts erzählen durfte. Dass ich das nicht immer gut einzuordnen wusste, steht auf einem anderen Blatt.
Und dann ging es schnell …
Irgendwann, Anfang November 1989, wurde ich auf dem Schulhof angesprochen, ob ich heute auch auf den Marktplatz kommen würde, da sei eine Demonstration wie in Leipzig. Meine Eltern hatten mir davon zu diesem Zeitpunkt noch nichts erzählt und ich hielt mich daher auf dem Schulhof sehr bedeckt. Zu Hause stand seit einiger Zeit immerzu eine brennende Kerze im Fenster, mir war klar, was es bedeutete, mehr wusste ich von den Aktivitäten meiner Eltern ´89 jedoch nicht. Der Kerzenwachsfleck blieb dort als Erinnerung, bis zum Abriss des Neubaublocks 1994. Am Abend aber hieß es dann plötzlich, dass wir uns anziehen sollten, und ich und mein Bruder, der 3 Jahre jünger ist als ich, bekamen eine Kerze in die Hand gedrückt und wir gingen zur „Demo“. Auf dem Weg dorthin wurde nicht gesprochen. Es lag eine große Anspannung, vielleicht auch etwas Angst in der Luft.
Welche Art von Angst?
Die verschwand schnell, denn der ganze Marktplatz war voller Menschen mit Kerzen. Ich glaubte, es seien wirklich alle Oederaner da. Es waren wohl 1000 von 8000 Einwohnern. An die Bilder des Kerzenumzugs, den langen Berg hinab, erinnere ich mich bis heute sehr lebhaft und berührt. Wir riefen „Wir sind das Volk“ und „Schließt Euch an!“, auch „Stasi in die Volkswirtschaft“, was das bedeutete, wusste ich nicht. Schließlich führte der Demonstrationszug auch an der Wohnung eines Schulfreundes vorbei und dessen Eltern standen auf dem Balkon und schauten sich die Demonstration an. Als ich diese mit Namen anrief und „Schließt Euch an“ brüllte, wurde ich von meiner Mutter erinnert, dass das wohl nicht alle so gut finden und zur Zurückhaltung gemahnt.
Am 9. November …
… am Abend des 9. Novembers schlief ich bereits, als meine Mutter mich weckte und vor den Fernseher setzte. Das kam zweimal vor in meinem Leben. Einmal am 9. November 1989 und später nochmal, als der 1. Golfkrieg begann. Ich erinnere mich, dass wir die ganze Nacht die Berichte aus Berlin guckten und in der Wohnung immer mehr Menschen auftauchten. Quasi die ganze Nachbarschaft. Meine Mutter kochte Apfelmus und rannte immer zwischen Küche und Wohnzimmer hin und her und alle anderen diskutierten. Es war sehr bewegend. An mehr erinnere ich mich aber an diesem Abend nicht. Am nächsten Morgen ging ich in die Schule. Ich glaube, es war ein ganz normaler Schultag. Nur der Samstag war seltsam, denn da wurde am Morgen der Unterricht abgesagt, weil zu wenig Schüler gekommen waren. Die nächsten beiden Samstage dasselbe Spiel. Danach fand nie wieder samstags Unterricht statt. Daran erinnere ich mich besonders, seltsam. Irgendwann waren alle mal im Westen gewesen, nur ich nicht. Irgendwann stand ich mit meiner Mutter dann wie jeden Montag auf dem Marktplatz mit der Kerze zur Demonstration, aber irgendwann kam niemand mehr. In meiner Erinnerung waren irgendwann nur ich und meine Mutter dort, was sicherlich nicht der Realität entspricht. Aus „Wir sind das Volk“ war „Wir sind ein Volk“ geworden. Wir fuhren als Familie erst im Januar 1990 in den Westen. Das ist aber eine ganz andere spannende Geschichte.
Am 5. und 9. November wird das Stück gleich zweimal am Tag gespielt, um 10 und um 20 Uhr. Warum?
Wir haben ganz bewusst auf den 3. Oktober die Premiere und auf den 9. November unser Deniere gelegt. Klar. Diese beiden Daten zur Wende 1989. Ich selbst möchte gern, dass auch SchülerInnen die Gelegenheit bekommen, unser Stück zu sehen, denn ich glaube, dass dies für SchülerInnen mehr als nur ein Blick in die seltsame Vergangenheit Ihrer Eltern und Großeltern ist. Oder sein kann, daher zweimal zweimal.
Text: Mathias Schulze