Paul Bartsch & Band, 11. August, Waldbühne am Peißnitzhaus, 19.30 Uhr, alle Termine: www.zirkustiger.de
Paul Bartsch & Band feiern 20-jähriges Jubiläum. Zum Geburtstag gibt es nicht nur ein Open-air-Konzert, sondern auch einen Stargast: Ex-Renftler Christian „Kuno“ Kunert. Grund genug, beim Hallenser Bartsch nachzufragen
Wie geht es Ihnen? Was machen Sie gerade? Sie sind jetzt Rentner, oder?
Ja, das klingt für mich immer noch komisch. Zumal ich im April 2020 in den Ruhestand gegangen bin, also genau parallel zu den Corona-Einschränkungen. Das war nicht so toll, denn eigentlich wollte ich da durchstarten mit der Musik, was erst einmal nicht möglich war. Nun sollte es aber endlich klappen. Und da geht es mir gut, keine Frage!
Ein 20-jähriges Jubiläum ist Anlass genug, um danach zu fragen, was Sie heute anders machen würden.
Tja, vielleicht hätte ich manches im künstlerischen Bereich noch intensiver tun sollen. Andererseits waren mir aber auch meine beruflichen Tätigkeiten als Literaturwissenschaftler, Medienpädagoge und Hochschulprofessor wichtig. Und die Familie sollte auch nicht zu kurz kommen. Auch wenn es simpel klingt: Wahrscheinlich würde ich nicht viel ändern, wenn ich es noch einmal machen könnte.
Es gibt eine neue Doppel-CD und ein neues Buch.
Die Doppel-CD „Stadtmusikanten“ bilanziert unsere 20 Jahre Bandgeschichte. Wir haben Freunde und Wegbegleiter – und uns selbst – befragt, welche Titel aus unseren neun Studio-CDs sie gern auf einem Sammelalbum hätten. Aus den zahlreichen Vorschlägen haben es dann 36 Songs auf die beiden Scheiben geschafft, ergänzt durch das neue Stück „Stadtmusikanten“, das die Auswahl einrahmt. Und mit dem gleichnamigen Programm sind wir in diesem Jahr auf etlichen Bühnen live zu erleben.
Wieso?
Wir haben Anfang der 1990er Jahre mal einen Playback-Auftritt gemacht. Das Band, das abgefahren wurde, wurde an der falschen Stelle gestartet. Und dann wurde, für alle hörbar, hin und her gespult. Das war megapeinlich.
Und das Buch?
Das Buch „LiveRillen No. 5“ resultiert aus meiner Radiosendung „LiveRillen“, in der ich bei „Radio Corax“ monatlich Konzertmitschnitte aus sechs Jahrzehnten Rockmusikgeschichte direkt von der Schallplatte vorstelle. Gerade ist der fünfte Band der Buchreihe erschienen, Musik zum unterhaltsamen Lesen sozusagen – mit vielen Daten, Namen, Fakten, Anekdoten sowie Verweisen auf Entwicklungen, Zusammenhänge und die Zeitgeschichte.
Was sehen Sie, wenn Sie heute durch die Straßen laufen? Wie hat sich Halle verändert?
Halle ist ein lebendiger Organismus, und auch wenn ich ein erst 1976 Zugezogener bin, lebe ich doch sehr gern hier. Nicht zuletzt, weil meine Familie hier zu Hause ist, meine Kinder und Enkel also „echte“ Hallenser sind. Was mich zudem freut, sind die vielen attraktiven Stellen und Orte, die in den Jahrzehnten entstanden sind. Oder die vor dem Verfall gerettet und wieder herausgeputzt wurden, wie etwa die Franckeschen Stiftungen oder jüngst das neue Planetarium. Dass wir mit dem „Polyhymnia“ nicht nur ein simples Musikgeschäft haben, sondern einen Ort, wo man Kaffee trinken, in Noten blättern, über Instrumente fachsimpeln und hin und wieder sogar Kultur live erleben kann, das finde ich toll! Nicht weit entfernt ein Schallplattenladen, der der Vinyl-Kultur zu neuem Leben verhilft. Und mit „Corax“ ein Bürgerradio, das die Atmosphäre der Stadt streitbar mitgestaltet. Und weil diese Stadt lebendig ist, wandelt sie sich auch, klar. Dass mir da manche jugendkulturellen Auswüchse, die Erscheinungsbild und Nachtruhe in Wohnquartieren negativ beeinflussen, gegen den Strich gehen, will ich nicht verhehlen. Da hoffe ich auf größere Kompromissbereitschaft – von allen Seiten.
Im August empfangen Sie Christian Kunert.
Konzerte von Renft, die ich zu Beginn der 1970er Jahr erlebt habe, gehören zu meinen wichtigsten musikalischen Prägungen. Und ich habe sie auch nach dem Verbot 1975 nicht aus dem Blick verloren; gerade ‚Pannach & Kunert‘ haben mich durch ihren radikal-poetischen Humor beeindruckt. Als es mit meiner Band losging, hatte ich die Idee, auf jeder CD einen Titel zu veröffentlichen, der an einen Renft-Song anknüpft, an ihn erinnert. „Irgendwann werd’ ich mal“ war das erste Stück. Ich habe meinen gleichnamigen Song damals an Kurt Demmler, der den Originaltext verfasst hat, und an Kuno als Komponisten und Sänger geschickt. Beide haben sehr positiv reagiert. Mit Kuno konnten wir dann einige gemeinsame Konzerte spielen, ehe ihn sein Gehörverlust zu stark behinderte. Der freundschaftliche Kontakt besteht seitdem, und so hat er meine Einladung gleich angenommen. Gerulf Pannach, der von 25 Jahren verstorben ist, wäre in diesem Jahr 75 geworden. Ein guter Anlass, an ihn zu erinnern. Das passt absolut zu dem, was wir als Band machen.
Haben Sie ein Ohr an jener jungen Szene, die sich heute Singer/Songwriter nennt?
Was ist jung, wenn man selbst knapp 70 ist? Dota Kehr oder Felix Meyer sind großartig, und sie sind zwanzig, fünfundzwanzig Jahre jünger als ich. Was mir insgesamt auffällt, ist, dass wieder mehr deutsch gesungen wird. Songwriter wie Max Prosa, Gregor Meyle oder Johannes Oerding höre ich mir hin und wieder an, vieles gefällt mir auch. Manche Texte kreisen mir zu sehr um das Selbst, aber das ist in dieser Lebensphase vielleicht so. Und die Orientierung auf Fun, Party und Comedy ist auch nicht so meins. Vielleicht, weil es mir schwerer fällt, witzig zu sein. Mich hat die stärker politisch ausgerichtete Lieder-Szene der 1970er und 1980er Jahre geprägt. Dabei meint Politik in meinem Verständnis nicht vordergründige Ideologie, sondern die Einmischung in die eigenen Angelegenheiten. Das versuche ich in meinen Liedern poetisch umzusetzen, und das kann auch sehr unterhaltsam sein.
Was unterscheidet einen guten von einem sehr guten Song?
Ein guter Song bleibt nicht nur im Ohr, sondern wandert in den Kopf. Und ein sehr guter bleibt auch dort in Bewegung und setzt keinen Staub an.
Text: Mathias Schulze