Martin Thiele zu Gast bei „Raimund und Jonas blättern nach rechts“, 31. Juli, Volksbühne Kaulenberg, 20.30 Uhr, Tickets: www.volksbuehne.jonsch.net
Die Literatur- und Gesprächsreihe „Raimund und Jonas blättern nach rechts“ in der Volksbühne Kaulenberg hat am 31. Juli einen besonderen Gast: Martin Thiele. Er ist Geschäftsführer der „Aids-Hilfe Halle“. Was ihn antreibt, hat er uns im Interview verraten
Hallo, Martin Thiele, hören Sie die Behauptung, wonach Aids eine Krankheit der 80er und 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts sei, öfter?
Ich begegne immer wieder Menschen, die meinen, Aids sei eine Krankheit von gestern. Und tatsächlich hat sich in den letzten Jahrzehnten einiges getan, vor allem in medizinischer Hinsicht. Eine HIV-Diagnose ist schon lange kein Todesurteil mehr. HIV ist heute gut behandelbar, führt unter Therapie nicht mehr zu einer Aids-Erkrankung. Mit HIV kann man mittlerweile ein gesundheitlich weitgehend problemfreies Leben führen. Ja, die Medikamente leisten so gute Arbeit, dass HIV unter Therapie selbst beim Sex ohne Kondom nicht mehr übertragbar ist. Dennoch finden in Deutschland jährlich noch gut 2.000 Neuan- steckungen statt. Zudem wissen viele Menschen nichts von ihrer Infektion, so dass Diagnosen in einem Drittel der Fälle erst in einem späten oder gar im Aids-Stadium gestellt werden. HIV und Aids gehören also noch keineswegs der Vergangenheit an. Als Aids-Hilfe haben wir da noch einiges zu tun
Welche Mythen geistern auch heute noch in den Köpfen herum? Warum sind sie falsch?
Da gibt es einige, die sich hartnäckig in den Köpfen halten und mit denen wir in unserer Arbeit ständig konfrontiert werden. Das gängige Vorurteil ist immer noch, dass HIV/Aids eine „Schwulen-Krankheit“ ist oder nur bei vermeintlich promiskem oder un- moralischem Sex weitergegeben werden kann. Das ist selbstverständlich völliger Blödsinn. Es gibt zwar Gruppen, die hauptsächlich betroffen sind, zu denen auch schwule und bisexuelle Männer zählen, doch das hat wenig mit ihrer Sexualität zu tun. Das HIV-Virus schert sich kein bisschen um sexuelle Orientierung und Moral. HIV kann beim ungeschützten Sex übertragen werden – ganz gleich ob homo oder hetero, ob monogam oder „promisk“.
Wie sieht Ihre Arbeit genau aus?
Aids-Hilfearbeit ist vielschichtig. Zunächst einmal sind wir eine klassische Beratungsstelle, die man kontaktieren und aufsuchen kann, wenn man Fragen zu HIV/Aids, anderen Geschlechtskrankheiten und zur sexuellen Gesundheit hat. In diesem Zusammenhang ist es auch möglich, bei uns anonyme Schnelltestungen auf HIV, Syphilis und Hepatitis C durchführen zu lassen. Darüber hinaus leisten wir Aufklärung über sexuelle Gesundheit und Safer Sex und gehen unter anderem an Schulen, um junge Menschen mit sexueller Bildung zu erreichen. Nicht zuletzt verstehen wir uns als eine Selbsthilfeorganisation für Menschen mit HIV – wir beraten und begleiten diese dabei in allen Lebenslagen, auch wenn sie beispielsweise Diskriminierung erleben, die leider trotz aller me-dizinischer Fortschritte noch zu ihrem Alltag gehört. Eine Besonderheit der halleschen Aids-Hilfe ist, dass wir ein personell recht junges Team und daher auch in den sozialen Medien wie Instagram sehr aktiv sind, um unsere Präventionsbotschaften zu verbreiten und einen Einblick in unseren Arbeitsalltag zu geben.
Inwiefern schlägt sich in Ihrer Arbeit auch ein „Kulturkampf“ nieder?
Mit Erschrecken beobachten wir in den letzten Jahren das Erstarken rechtsnationaler und homophober Kräfte. Bewegungen wie die selbsternannten „besorgten Eltern“ oder Parteien wie die vermeintliche „Alternative für Deutschland“ führen mit klangvollen Kampfbegriffen wie „Frühsexualisierung“, „Gender-Gaga“ oder „Regenbogen-Trallala“ einen Kulturkampf gegen eine vielfältige und offene Gesellschaft. Dabei machen sie auch Stimmung gegen Menschen, die nicht in ihr Bild einer moralisch aufgeräumten und reinlichen Gesellschaft passen. Als Aids-Hilfe stehen wir politisch für eine plurale Gesellschaft, in der Menschen ohne Angst verschieden sein können. Die Anerkennung unterschiedlicher Lebensentwürfe bildet die Grundlage unserer Präventionsarbeit. Daher treten wir seit einiger Zeit wieder verstärkt als ein politischer Akteur auf, der sich in der Stadt für Solidarität und Vielfalt sowie gegen rechte Hetze stark macht. In diesem Zusammenhang organisieren wir zum Beispiel jedes Jahr die Demonstration zum Christopher Street Day, um für die Rechte queerer Menschen einzutreten.
Nun sind Sie Gast in einer Literaturveranstaltung: Wie ist es dazu gekommen?
Ich bin Stammgast in der Buchhandlung „Jacobi & Müller“, schaue dort mehrmals wöchent-lich vorbei und verlasse das Geschäft recht selten ohne ein Buch in der Hand. Dabei komme ich mit Raimund Müller immer wieder mal ins Gespräch, auch über meine Tätigkeit in der Aids-Hilfe. So ist die Idee zum gemeinsamen Abend in der Volksbühne entstanden. Mir wurde aufgetragen, fünf Bücher auszuwählen, über die wir neben meiner Aids-Hilfearbeit sprechen wollen. Ich habe mich für belle-tristische sowie für Sachliteratur entschieden, die sich mit HIV und Aids beschäftigt. Mein Vorha- ben wird es also sein, eine kleine literarische Zeitreise durch die HIV/Aids-Geschichte zu unternehmen und so die eine oder andere Literaturempfehlung zum Thema geben zu können.
Bitte vollenden Sie diesen Satz: „Halle ist …
… charmant.“ Es gäbe sicherlich noch so viel mehr über die Stadt zu sagen. Doch immer, wenn ich anderen Menschen beschreiben soll, weshalb ich so gern im lauschigen Halle lebe, ist es das, was mir zuerst in den Sinn kommt.
Text: Mathias Schulze