Ausstellung „Geschichten, die fehlen“, Stadtmuseum Halle, Große Märkerstraße 10, Di-So 10.00-17.00 Uhr, www.geschichten-die-fehlen.de
Insgesamt leben 20.000 Menschen mit Behinderung in Halle. Wie es um sie bestellt ist, zeigt die aktuelle Schau im Stadtmuseum
Er ist vielen Hallensern im Gedächtnis geblieben, ein Teil der Stadtgeschichte: Der Straßenmusiker Zither-Reinhold. Zither-Reinhold, der mit bürgerlichem Namen Reinhold Lohse hieß, wurde 1878 in Halle geboren und erlitt im Alter von neun Jahren eine Typhus Erkrankung. Sein Geist entwickelte sich nicht weiter, er blieb ein Kind im Körper eines Mannes. Auch sein Lebensweg ist nun in der Ausstellung „Geschichten, die fehlen“ im Stadtmuseum abgebildet. Zither-Reinhold lebte mit seiner Schwäche am Rand der Gesellschaft, doch er hatte sich seinen Platz gesucht und gefunden. Er war geduldet, verehrt und verspottet zugleich.
Aber was ist mit all den anderen Menschen, die in unserer glatt gebügelten Work-Life-Balance-Gesellschaft mit einem Handicap leben müssen? Die Ausstellung im Stadtmuseum in Halle möchte hier ein Sprachrohr der Beeinträchtigten sein: Da ist zum Beispiel Dr. Ingo B, dem die Welt der Laute und Geräusche nicht bekannt ist, der am Max-Planck-Institut als Quantenphysiker arbeitet und eine Fachgebärdensprache für taube Wissenschaftler entwickelt. Und da ist auch die Biographie von André T. der sagt: „Ich hätte auch dumm bleiben können“, der eine Ausbildung als kaufmännische Fachkraft absolviert hat und keinen Job findet.
André T. will nicht akzeptieren, dass er auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance hat. Er verschafft sich Gehör, klagt an. Er setzt sich vehement für gleichberechtigte Entlohnung in Behindertenwerkstätten ein, demnächst wird er deshalb eine Klage beim Bundesgerichtshof und europäischen Gerichtshof vorbringen.
Man sagt: „Die Gehörlosen sind abgeschnitten von den Menschen, die Blinden sind abgeschnitten von den Dingen.“ Das Schlimmste ist wohl, dass sich viele Menschen mit Beeinträchtigung vom Leben abgeschnitten fühlen. Das liegt auch an den Berührungsängsten in der Gesellschaft.
Und da ist auch noch die Geschichte der jungen Rollstuhlfahrerin Pauline B., die sich mit ihrem „Rolli“ in den Skatepark von Halle- Neustadt wagte und dort eine Gemeinschaft gefunden hat, in der sie so sein kann wie sie ist. Oder Maria S., die Autistin, die es geschafft hat mit ihren Eigenheiten akzeptiert, respektiert und im ihrem Arbeitsteam in die Riege der „Normalos“ aufgenommen zu werden. Sie ist in ihrem Job als Einzelbetreuerin in einer Pflegeeinrichtung genau richtig. Sie hat ihren Platz gefunden.
Die Texte im Stadtmuseum sind leicht und verständlich geschrieben. Außerdem führt ein taktiles Leitsystem blinde Menschen durch die barrierefreie Ausstellung.
Text: Annett Krake