Die Nacht der Seele, am 25. und 26. April um 20.30 Uhr und am 27. April um 18 Uhr, WUK Theater Quartier, alle Infos: www.theater-aggregate.de
Das freie Theater Aggregate präsentiert eine postromantische Theaterverschwörung. Das Stück „Die Nacht der Seele“ arbeitet mit einer Handnebelmaschine, mit einem präparierten Klavier, mit Gesang, Sound und natürlich Schauspiel. Wir haben bei Regisseur Silvio Beck nachgefragt
Die Ausgangslage des Stückes ist die Überzeugung, dass wir im Neoliberalismus, im digitalen Kapitalismus zu individuellen Selbstperformern geworden sind, die keine stabile Gemeinschaft mehr leben können. Akzeptieren wir diese These mal. Warum aber wird diese Diagnose dann mit dem Rückgriff auf die Epoche der Romantik thematisiert? Welcher Blickwinkel entsteht dadurch? Und ist „das Romantische“ nicht ein künstlerisches Verfahren, in dem eine ins Göttliche weisende Einheit zwischen Mensch und Natur behauptet wird?
Das mit dem Göttlichen ist so eine Sache. Eichendorff schrieb: „Es war, als hätt’ der Himmel, die Erde still geküßt“. Die metaphysische Erfahrung steht also seit der Romantik und bis auf weiteres im Modus des Konjunktivs. Das scheint mir ein kluges Erbe zu sein. Die Romantik entdeckt und feiert darüber hinaus das Ich, das schöpferische Individuum, das Kreative und Künstlerische. Das gilt für Männer wie für Frauen. Über zweihundert Jahre später lautet dann aber plötzlich auch der postmoderne kapitalistische Befehl: Sei kreativ. Aber nicht etwa, um sich ins Unbekannte, Offene zu wagen, wie man das in der Romantik erlebte und forderte. Das wird zwar immer noch behauptet, damit wirst du geködert. Eigentlich geht es aber darum, eine Ressource für den Markt zu sein. Ich poste, also bin ich. Oder auch in psychologischer Hinsicht: Früher haben wir unsere Sünden verfolgt, heute verfolgen wir negative Gedanken. Sei positiv in einer Positivgesellschaft.
Das bedeutet?
Alles Widerständige, nicht Konsumierbare, alles, was sich dem Nützlichen, der Verwertung entzieht, wird als negativ gebrandmarkt. Der deutsch-koreanische Philosph Byung Chul Han hat in etlichen Essays diese Strategien pointiert dargestellt. Er benennt diese Phänomene mit dem Begriff der „neoliberalen Psychopolitik“. Ständig wird man dabei aufgefordert, sich als ein sehr besonderes Individuum zu produzieren, sich unentwegt zu veräußern. Kasse macht der Plattform-Kapitalismus. Mit dramatisch zugespitzten Worten: der Impuls der Romantik wird vom Markt vollständig absorbiert. Gleichzeitig liegen aber in den Formen, den Texten und der Musik der Romantik Widerstandskräfte bereit. Das untersuchen wir, natürlich als Involvierte. Wir tun nicht so, als würden wir da drüber stehen.
Ich bin in der Ankündigung über eine Frage gestoßen, die ich nicht konkret verstanden habe, die mir aber sehr gut erschien: „Wie viel Fiktion brauchen wir, um mit der Wirklichkeit in Berührung zu kommen?“ Was meinen Sie mit dieser Frage? Warum habe ich mich dabei an den Film „Anatomie eines Falls“ mit Sandra Hüller erinnert? Falls Sie ihn kennen ...
Ich vermute, wir würden Wirklichkeit pur gar nicht aushalten. Darum kreist ja unter anderem auch der von Ihnen zitierte Film. Gleichzeitig ist es notwendig, mit ihr immer wieder in Kontakt zu kommen, um sich nicht einzumauern. Nur, was ist diese Wirklichkeit? Im Theater gibt es die Redewendung von der Tücke des Objekts. Eine Sache gehorcht nicht meinem Willen. Oder eine Situation wird unbeherrschbar und entgleitet. Das Ergebnis ist oft Komik. Ich vermute, dann machen wir eine Wirklichkeitserfahrung. Man kann halt nicht direkt auf sie zugehen. Daher haben wir in unserem Theaterstück zwei etwas überzeichnete Figuren erfunden, ein bisschen dekadent, humorvoll snobistisch, adlige Bohemians. Sie geben sich einigen bizarren Spielen hin. Nur durch diese Figuren hindurch, die Herzogin und den Baron, kann ich kritische Texte hören, die mit dem eingangs beschriebenen gesellschaftlichen Wandel zu tun haben, der unsere Realität durch und durch bestimmt. Diese kritischen Reflexionen werden hörbar, weil sie durch seltsam artifizielle fiktive Gestalten im Dialog ausgesagt werden. Und sie werden dadurch auf eine heitere Art selbstreflexiv. Alles andere wäre Belehrung. Es gibt nichts, was ich mehr verabscheue, als vom Theater aus zu belehren oder belehrt zu werden.
Wie würden Sie die Ästhetik des Stückes beschreiben?
Sinnlich, spielerisch, musikalisch, humorvoll und dialektisch. Wir zeigen, wie wir Fiktionen, Situationen, Lieder, Sounds, Atmosphären mit wenigen Mitteln entstehen lassen – und zack, da sind sie schon wieder weg. Unsere Weise der romantischen Ironie.
Welche Pläne, Visionen, Ziele hat das Theater Aggregate gerade?
Wir beschäftigen uns demnächst mit dem fast vergessenen Dichter Franz Richard Behrens. Er wurde in Brachwitz, in der Nähe von Halle, vor 130 Jahren geboren. Er war Soldat im ersten Weltkrieg. Schrieb im Schützengraben beeindruckende expressionistische Gedichte und Prosa. Im Berlin der Zwanziger schrieb er das Drehbuch zu dem berühmten Stummfilm „Hamlet“ mit Asta Nielson in der Hauptrolle. Er verstarb vereinsamt 1977 im Prenzlauer Berg. Zeitgleich schrieb Heiner Müller um die Ecke „Die Hamletmaschine“. Unser Stück wird „Expressionist Artillerist oder mein bester Freund Hamlet“ heißen und im November im WUK Theater Quartier zur Premiere kommen. Jetzt im April spielen wir aber erst mal „Die Nacht der Seele“.
Text: Mathias Schulze