„Hab’n Sie was mit Kunst am Hut?“, 4. Juni, Volksbühne Halle, 19.30 Uhr, Tickets oder Online-Tickets: volksbuehne.jonsch.net
Der Rezitator Hagen Möckel und der Leiter des Literaturhauses Halle, Alexander Suckel werden in der Volksbühne dem lyrischen Genie des Titanic- Mitbegründers Robert Gernhardt (1937–2006) huldigen. Das Programm heißt „Hab’n Sie was mit Kunst am Hut?“. FRIZZ-Redakteur Mathias Schulze hat Hagen Möckel zum Gespräch gebeten
Ich bin ein Fan von Robert Gernhardt, seine Lyrik ist grandios. Zeitgleich spielt sein Werk hier bei uns, im Osten der Republik, fast überhaupt keine Rolle. Wie erklären Sie sich das?
Das, was ich in meinen Programmen tue, ist nichts weiter als das Publikum an das Gedicht als poetischen Text zu erinnern. Ich hoffe, es gelingt mir ab und an, dass ich auf eine schauspielerische Weise zeige, was das Gedicht alles kann, denn das Gedicht als „gepresste Literatur“ kann alles, hingegen der Dichter heutzutage wenig, wenn nicht gar Gar-Nichts gilt. In der FAZ gab es vor langer Zeit ein Magazin mit dem Namen Seelig. In diesem Magazin wurden ganzseitige Prominentenfragebögen veröffentlicht, die unter anderem auch die Frage enthielt „Ihr Lieblingslyriker?“. Viele Prominente ließen die Frage einfach aus oder aber beantworteten diese mit einer Gegenfrage. Es gibt also noch nicht genug Programme wie „Hab’n Sie was mit Kunst am Hut?“, das ich gemeinsam mit Alexander Suckel dem geneigten Publikum vorstelle.
Wie sind Sie überhaupt zu dem Dichter gekommen?
1991 bekam ich das Buch „Besternte Ernte“ in die Hände, von Stund an hatte ich ein verehrendes Verhältnis zu Robert Gernhardts Lyrik. Inzwischen ist das Buch sicher ein moderner Klassiker des gehobenen Ulks. Die Fähigkeit Robert Gernhardts, eigene Gefühle wie Trauer oder Angst mit Ironie oder Witz zu verbinden hat meinen allergrößten Respekt.
Bevor wir weiterreden: Können Sie Ihr Lieblingsgedicht von Gernhardt verraten?
Wie Robert Gernhardt es verstand, die jedem Kind innewohnende erste Reimform für sich zu benutzen, fasziniert mich jedes Mal aufs Neue. Die Rede ist von dem Wort „Mama“. Jedes Kind beginnt sein sprachliches Leben wohl mit diesem ersten Reim einer menschlichen Naturpoesie: Mama, das ist doppelt gereimt mit einem Stabreim M-M und einem Endreim A-A und sorgt so für eine größtmögliche Eingängigkeit bei jeder Mama. Also eines meiner Lieblingsgedichte von Robert Gernhardt ist ein sehr frühes. Es heißt „Mama“.
Wir hören.
„Mama – kein einziges Wort auf dieser Welt / das so viele Ma’s enthält / wie Mama. / Ja – / Kaktushecke hat mehr Ka’s / Braunbärbabies hat mehr Be’s / Erdbeerbecher hat mehr E’s / Schamhaaransatz hat mehr A’s – / Aber Ma’s? / Koblenz hat keine Ma / München hat so gut wie keine Ma / Mannheim hat nur eine Ma / Doch welche Stadt hat zwei Ma? / Na? / Göttingen / Ja! / Denn dort wohnt meine Mama“.
Sehen Sie. Jetzt dürfen Sie schwelgen: Was kann die Gernhardtsche Lyrik besonders gut?
Mit der Lyrik von Robert Gernhardt kann man sich zuverlässig die schönste schlechte Laune verderben. Wer Sprache überhaupt, Sprachwitz, Wortspiele, Hintersinn, Blödsinn, Unsinn und Sinnlichkeit schätzt, sollte ein Lyrikbändchen von Robert Gernhardt im Bücherregal, möglicherweise die heutige Generation im E-Book- Reader, haben!
Geschärft am satirischen Blick eines Gernhardts, der auch Mitbegründer der Satire-Zeitschrift „Titanic“ war, kann man auch heutige Satire begutachten. An welchem Spaßmacher der Gegenwart würde Gernhardt heute Gefallen finden? Und an welchem nicht? Frauen sind natürlich mitgemeint.
Eigentlich gilt Gernhardt schon etwas bei uns, und sei es nur als große Ausnahme, Alibi oder kluger Klartextpoet. Es mag sein, dass er ein Liebling der Feingeister und latent Genervten, die an der Oberflächlichkeit und Banalität des Lebens leiden, gerade dann, wenn es besonders großspurig und intellektuell daherkommt, gewesen ist. So sehe ich das als sehr schwierige Frage an, und schon gar nicht lässt Robert Gernhardt sich vergleichen.
Sie kennen sein Gedicht „Ein Gleichnis“?
Ja, es geht so: „Wenn da einer – und er hielte / Ein frühgereiftes Kind, das schielte / Hoch in den Himmel und er bäte: / „Du hörst jetzt auf den Namen Käthe“ – / Wär dieser nicht dem Elch vergleichbar, / Der tief im Sumpf und unerreichbar / Nach Wurzeln, Halmen, Stauden sucht / Und dabei stumm den Tag verflucht, / An dem er dieser Erde Licht … / Nein, nicht vergleichbar? / Na, dann nicht“.
Sehr gut.
Um aber doch einen Namen zu nennen und so auch die Brücke zwischen Ost und West zu schlagen: Ich finde Olaf Böhme als Kabarettist und auch als Lyriker ganz wunderbar, leider hat er mit Robert Gernhardt das Schlimmste gemeinsam: er lebt nicht mehr. Aber seine Pichmann-Gedichte kann ich jedem empfehlen.
Wie kann man sich den voraussichtlichen Stream aus der Volksbühne vorstellen? Wie soll der Funke über die Endgeräte hinweg überspringen?
Gernhardtsche Lyrik? Eineinhalb Stunden lang Gedicht auf Gedicht? In Zeiten multimedialer Zerstreuung könnte man meinen, das ist ein sehr gewagtes Unterfangen. In der Regel vielleicht. Aber nicht, wenn Alexander Suckel und ich den Gernhardtschen Gedichtegarten zum Erblühen bringen. Wir sprechen, spielen, rufen, schreien die Dichtung von Robert Gernhardt. Und so wird das Publikum die Lyrik nicht nur hören, sondern vor allem auch sehen. So kann man lachen, so entstehen Bilder im Kopf. Wenn das kein Grund zum Einschalten ist, dann weiß ich es auch nicht!
Text:Mathias Schulze