Julia Hülsmann-Solokonzert am 6. September, Konzerthalle Ulrichskirche, 11 Uhr; Projekt „Last Chance to Misbehave” zusammen mit Kinga Glyk am 9. September, Händel-Halle, 20 Uhr, womeninjazz.de
Die Jazzpianistin Julia Hülsmann ist Trägerin des SWR- und des WDR-Jazzpreises 2016. Dieses Jahr ist sie gleich zweimal beim Women in Jazz-Festival (WIJ) zu bestaunen. Am 6. September gibt es ein Solokonzert, am 9. September ist sie Teil des Projektes „Last Chance to Misbehave“. Grund genug, bei der Pianistin nachzufragen. Ein Gespräch über die Kraft der Kunst, ihre Herkunft und über Trump und Amerika
Worauf darf sich das Publikum freuen, wenn Sie ihr Solokonzert spielen?
Ich spiele meine eigenen Stücke und Popsongs im neuen Gewand. Zwischen den Stücken erzähle ich etwas über selbige. Ich versuche das Publikum auf eine Reise mitzunehmen. Da kann es auch mal wilder zur Sache gehen. Und wie immer werde ich darauf reagieren, wie das Publikum so drauf ist.
Und das Projekt „Last Chance to Misbehave”?
Das ist ein Trio mit zwei Sängerinnen und mir. Mia Knop Jacobsen und Ayse Cansu Tanrikulu: zwei ganz wunderbare und sehr spannende Musikerinnen. Wir spielen eigene Songs und vertonte Gedichte, beispielsweise von Shakespeare oder Margaret Atwood, aber es kann auch ohne Text sein.
Wir kommen nicht umhin über Lockdown-Erfahrungen zu sprechen.
Mein Quartett und ich mussten Mitte März eine Tour in Mexiko abbrechen. Anfangs fühlte sich die Zwangspause gut an, ich kam einmal zur Ruhe. Klar, irgendwann drehte sich das, aber ich habe keinen Grund zu jammern, denn ich bin bislang gut durchgekommen – das können nicht alle Künstler von sich behaupten. Mein Einblick in die Musik-Szene zeigt, dass es Probleme gibt. Die Soforthilfen gehen in manchen Dingen an der Realität der freischaffenden Musiker vorbei. Aber ich kann nicht klagen, weil ich das Glück hatte, an der Universität der Künste in Berlin unterrichten zu dürfen. Die feste Anstellung kam just, als es mit dem Lockdown losging. Das war natürlich ein gutes Timing.
Eine Globetrotterin wie Sie kann bestimmt eine besondere Erfahrung, die Sie in Mexiko gemacht haben, erzählen.
Wir haben viel Spannendes erlebt, aber interessant finde ich, dass unsere David Bowie-Adaption von „This is not America“ beim Publikum besonders gut ankam. Da gibt es eine Passage, die Saxophon- Improvisation, die deutlich und fast schon aggressiv das „This ist not America“ betont. Das hat bei den Menschen in Mexiko eine ungeheure emotionale Intensität freigesetzt.
Weil sie an Trump und an dasjenige dachten, was er repräsentiert?
Ich denke schon, vielleicht auch, weil sie unter Druck stehen, sich absetzen und ihre eigene Identität bewahren wollen. Und weil dieser Song natürlich ein weltweit bekannter Pop-Song ist.
Das ist ein schönes Beispiel, um die Kraft der Kunst zu verdeutlichen.
Ja, ein einzigartiger Moment. Das zeigt, wofür wir Kunst brauchen, sie kann Ängste, Trauer, Wut oder Freude in kurzen Momenten so dermaßen bündeln, dass es scheint, als würde ein kollektives Band alle einzelnen Menschen verbinden. In Nicaragua haben wir beispielsweise auch mal ein Freiheitslied gespielt, das ähnlich intensive Momente evoziert hat.
Sie spielen seit ihrem elften Lebensjahr Klavier. Solche internationalen Karrieren wie die Ihrige starten zumeist in einem prägenden Elternhaus, gleichzeitig sind Sie in Bonn, im geschichtsträchtigen Jahr 1968, geboren: Sind Ihre Wurzeln bürgerlicher Art oder von den 68ern geprägt? Oder beides?
Ich komme schon aus einem Künstlerhaushalt, der den 68er Geist atmete. Wir waren und sind keine Revoluzzer, aber es herrschte eine offene Atmosphäre, die immer auch ein bisschen verrückt war. Meine Eltern setzten mir keine Schranken, ich musste mich nicht wehren. Das Spielen von Instrumenten war kein Zwang, meine Eltern lebten es vor – und dann wollte ich auch Klavierspielen. Es gab keinen Drill, der es darauf absah, dass ich Musikerin werden sollte. Dafür bin ich Ihnen heute noch dankbar!
Sie haben Anfang der 90er Jahre an der Berlin Hochschule der Künste studiert. Da prallten Welten aufeinander.
Oh ja, für mich war das eine sehr spannende Zeit, ich hatte schnell Kontakte zu Musikern aus dem Osten. Ich staunte damals, wie die ostdeutschen Bands strukturiert waren. Das war sehr faszinierend. Wir haben viel miteinander gearbeitet und gelebt, eine Band war ein Beruf – was für ein Luxuszustand!
Heute sind es viele Projekte, in denen Sie arbeiten.
Ja, der Luxuszustand ging damals auch schnell vorbei, jeder musste schnell wieder auf vielerlei Wegen auf Achse sein.
Wie viele Projekte sind es denn gerade, in die Sie involviert sind?
Oh, das sind einige: Mein Trio, das Quartett, dann gibt es auch noch eine große Band, ein Oktett, das in Halle mit wunderbaren internationalen MusikerInnen entstanden ist. Und ein Duo mit Christopher Dell, ich schreibe gerade auch an einem Programm für die NDR-Bigband. Es gibt viel zu tun. Das ist sehr gut so.
Und dann gibt es noch die Lehre an der Hochschule in Berlin. Was unterrichten Sie denn genau?
Ich unterrichte Klavier und Songwriting, leite verschiedene Ensembles. Eine schöne Arbeit.
Was braucht denn ein guter Song?
Das ist schwer in Worte zu fassen. Er muss echt sein und eine Geschichte erzählen, einen anrühren, vielleicht auch herausfordern – das gilt übrigens auch für Instrumentalstücke. Ein Song braucht eine gute Dramaturgie, ein gutes Arrangement. Es ist toll, wenn bei einem Song an einer Stelle die Sonne aufgeht, eine Tür sich öffnet, wenn Platz für Gefühle da ist.
Das komplette Interview findet sich auf der FRIZZ-Halle-Facebook-Seite.
Text: Mathias Schulze