Kalter weißer Mann, 2. Juli bis 13. September, Hof des neuen theaters Halle, alle Termine: www.buehnen-halle.de
Mit „Kalter weißer Mann“ läuft eine sehenswerte Sommertheater-Komödie im Hof des neuen theaters Halle. Witzig, unterhaltsam, anregend, den Zeitgeist treffend. Eine Rezension von Frizz-Redakteur Mathias Schulze
Die Kapelle steht, der Pfarrer und die Trauergemeinde kommen gleich, die Trauerschleife hat Horst Bohne, der vermutlich nächste Chef des Unternehmens „Feinwäsche Steinfels“, schon eifrig und mit bestem Gewissen aufgehangen. Der Gründer und Chef des Unternehmens ist tot, also muss die Etikette stimmen, auf der Schleife steht: „In tiefer Trauer. Deine Mitarbeiter.“
Na, fällt was auf? Schon die Vorkost-Premiere, die ein paar Einblicke in jene Inszenierung gewährte, die eigentlich der verstorbene Hausregisseurs Dietmar Rahnefeld verantworten sollte, zeigt, dass dieses Stück vom Autorenduo Jacobs und Netenjakob ein Volltreffer ist. In der Regie von Jos van Kan bleibt es bei minimalen Requisiten. Fokus: Die Sprache, ein spielfreudiges Ensemble, die Trigger-Punkte, unser aller Defizite, unser aller Dünnhäutigkeit.
Mit der Genderproblematik fängt es an, der kulturelle Deutungskampf folgt, dahinter lauern Verletzungen, Eitelkeiten, menschliches Allzumenschliches. Enrico Petters spielt den Bohne als in sich geschlossenen Kosmos: Ja, er hat doch auch jahrzehntelang vor seinem Chef gebuckelt. Völlig normal, dass er jetzt der Nachfolger wird! Und jeder Mensch mit Verstand weiß doch, dass bei „Mitarbeitern“ die Frauen auch gemeint sind – völlig logisch!
Es ist ein Genuss, wie die toxisch patriarchalen Begrifflichkeiten durch den Sommerabend flitzen: Irre! Normal! Vernünftig! Ständer-, äh, Gender-Sternchen! Sybille Kreß spielt die „Head of new development“ als eben so eindeutig und inbrünstig: Ist doch klar (fast schon normal), dass ihr der Social-Media-Experte an den Hacken klebt, das muss ja sein. Und klar: Es muss gegendert werden, sie repräsentiert die neue Zeit. Also müsste sie doch die Nachfolgerin werden!
Elke Richter spielt die Sekretärin mit all den schönen Schrulligkeiten, die blühen, wenn man eben zwischen den Fronten steht, wenn man eben erkennt, dass alle irgendwie Recht und Unrecht gleichzeitig haben. Die Vorkost-Premiere lief bis zur Pause. Aber eins kann man danach sagen: Diese schwarze Komödie, diese Inszenierung müsste ein Sommerhit werden! Sie ist witzig, unterhaltsam, anregend, den Zeitgeist treffend.
Und vielleicht funkelt sie auch mit einem Ausblick in die kommenden heißen Nächte, der uns allen viel zu oft einfach nur fehlt: Ist es noch möglich, einander zuzuhören, gar Verständnis aufzubringen? Ist Respekt und Aufmerksamkeit vielleicht doch mehr als nur eine Sprachsensibilität?
Text: Mathias Schulze