My Campfire Songbook, 19. April, Objekt 5, 20 Uhr, mycampfiresongbook.de
Mit großer Ehrfurcht
Songs zu covern ist im besten Falle selbst eine bemerkenswerte Kunst. Die Hallenserin Mirjam Trepte und ihre Band „My Campfire Songbook“ können darüber ein Lied singen. Am 19. April gastieren sie im Objekt 5. Grund genug, bei Trepte nachzufragen. Ein Gespräch über das Covern, über Halle und die „Frohe Zukunft“
Wie sind Sie zur Musik gekommen?
Ich habe schon immer gern gesungen, morgens unter der Dusche oder nachts auf dem Heimweg von einer Party. Kurioserweise habe ich mich lange für total unmusikalisch gehalten. Als mit Mitte 30 die erste große Lebenskrise kam, habe ich mich gefragt, was ich schon immer mal tun will. Ganz oben auf der Liste stand der Kauf eines Klaviers. Ich konnte zwar nicht spielen, aber schon der Klang einzelner Töne hat mich glücklich gemacht.
Vom Klavierkauf zur Sängerin ist es ein weiter Schritt.
Mein jetziger Freund und Bandpartner Arne Kühr ist studierter Gitarrist und ausgebildeter Tontechniker. Als er mich das erste Mal gefragt hat, ob wir mal was zusammen singen, ist mir das Herz in die Hose gerutscht! Aber es wurde eine lustige Session im Hotelzimmer. Da stellte sich heraus, dass ich scheinbar eine ganz talentierte Stimme habe.
Wie kam es zu „My Campfire Songbook“?
Eigentlich wollte ich immer mal auf der Bühne beim Weihnachtssingen im Steintor stehen, aber dann machte mir Matthias Schimetzek-Nilius den Vorschlag, doch mal im Objekt 5 auf der „Saitenbühne“ zu spielen. Dafür haben Arne und ich unser erstes Programm entwickelt. Es fing an mit Ohrwürmern, die wir früher am Lagerfeuer gespielt haben, aber nach und nach kamen auch viele Stücke hinzu, die uns erst auf den zweiten Blick fasziniert haben.
Songs zu covern …
… ist eine wunderbare Entdeckungsreise durch die Welt der Musik. Für mich als Sängerin ist die Lyrik extrem spannend, von Songs, mit deren Text ich mich nicht identifizieren kann, lasse ich die Finger. In erster Linie ist das Covern eine Reminiszenz an die Künstler, die den Song groß gemacht haben.
Nicht alle „Originale“ freuen sich, wenn sie gecovert werden.
Der Sänger der „Nine Inch Nails“, dessen Song „Hurt“ Johnny Cash auf seinen „American Recordings“ coverte, soll beim Hören von Cashs Version dies gesagt haben: „Es fühlt sich an, als wenn jemand deine Freundin küsst“. Das kann ich gut nachvollziehen. Deshalb gehen wir mit jedem Song sehr behutsam und mit großer Ehrfurcht um. Manchmal bleiben wir sehr nah am Original, manchmal schauen wir, ob nicht vielleicht noch eine ganz andere, verborgene Seite in dem Song steckt. Das ist, also ob ein Mädel, das du gestern noch in Jeans und kariertem Hemd getroffen hast, am nächsten Abend in Highheels und mit rotem Samt auftaucht. Oder andersrum! Aber es ist und bleibt die gleiche Person. Covern ist immer ein Prozess der Aneignung, der Neuinterpretation – und der Dankbarkeit.
Der Lockdown ist gerade vorbei.
Konzertmäßig waren die letzten zwei Jahre eine Saure-Gurken-Zeit, aber wir haben uns die Laune nicht verderben lassen und für Freunde und Passanten zwei halblegale „Hit & Runs“ gespielt - in unserem Vorgarten und auf dem August-Bebel-Platz. Im April spielen wir jetzt unser 16. Konzert. Wie immer gibt es viele neue Songs, wir freuen uns, dass wir dieses Mal Zuwachs bekommen: Tobias Herzfeld an der Mandoline und Geige und Kaspar Domke am Kontrabass.
Wo fühlen Sie sich musikalisch zu Hause?
Für mich wird Musik ab 1950 interessant. Rockabilly, Country und Folk, also im weitesten Sinne den „American Roots“. Man kann über Amerika denken, was man will, aber musikalisch gesehen ist das Land eine geniale Fundgrube. In New York kamen wir bei einem Konzert mit den großartigen „Punchbrothers“ zum ersten Mal mit Bluegrass in Berührung – einer wundervollen Spielart des Country aus Kentucky, die in Deutschland wenig bekannt ist, allenfalls aus Filmen wie „O Brother, Where Art Thou?“ von den Coen-Brüdern oder „The Broken Circle“. Diese Musik hat uns extrem beeinflusst.
Können Sie das Gefühl nach einem eigenen Konzert beschreiben?
Ich liebe es, wenn man mir zuhört – wie jeder Mensch, oder? Ich bin nach jedem Konzert ganz verliebt ins Publikum. Es ist so schön, wenn andere Menschen dir und dem, was du zu sagen hast, ihre Aufmerksamkeit schenken. Deshalb liebe ich auch kleine Bühnen, auf denen man ganz intim beisammen sitzt, Band und Publikum auf Tuchfühlung gehen können und ein Dialog entsteht.
Sie sind gebürtige Hallenserin. Wie hat sich Halle im Laufe der Jahre verändert?
Die „Diva in Grau“, die ich seit Kindesbeinen liebe, ist äußerlich bunter geworden - zum Teil auch ganz schön plasticbunt. Aber was die inneren Werte angeht, ist Halle nach wie vor ein großartiges und vielfältiges Pflaster mit vielen kreativen Initiativen und interessanten alternativen Projekten. Mich würden keine zehn Pferde hier wegkriegen!
Sie spielen im Objekt 5.
Ich erinnere mich noch gut an meine ersten Objekt-Partys vor der Wende, als es noch ein oller Hinterhof war und man sich aus ´nem Kasten in der Ecke für ´ne Mark ein Bier nehmen konnte. Über der kleinen Bühne hing ein Plakat: „Linie 1 Richtung Frohe Zukunft – Abweichende Linienführung über Straße der DSF“. Und es haben schräge Punkbands gespielt. Das Objekt 5 ist heute noch mein absoluter Lieblingsort in Halle. Nicht nur, dass es super schön und intim dort ist, sondern auch, weil die Jungs ein großartiges Konzertprogramm machen. Ich habe noch nie ein schlechtes oder auch nur mittelmäßiges Konzert dort erlebt. Jeder Abend ist einfach nur ein Treffer ins Schwarze.
Text: Mathias Schulze