Kunst, 15. Januar um 10 Uhr, 17. Januar um 19 Uhr und am 8. Februar um 20 Uhr, Studio des Anhaltischen Theater Dessau, Tickets: www.anhaltisches-theater.de
Fluffig, tragisch, süffisant – Wolfgang Hagemanns Inszenierung von Yasmina Rezas Stück „Kunst“ im Studio des Anhaltischen Theaters Dessau ist ein 90-minütiger Spaß mit Hintersinn. Eine Satire auf die Oberschicht, ein Plädoyer fürs Lachen, ein Spiel mit unserer Wahrnehmung
Weiß sind die Leinwände, die die Bühne zieren. Man kann sich hinter ihnen verstecken, man kann sich vor ihnen in voller Pracht präsentieren, mal verhüllen sie, oft zeigen sie alles. Gerne und oft werden sie umgestellt – als ob man nur die Form ändern müsste, um die Grundkonstellation der zwischenmenschlichen Verwerfungen zu ändern. Natürlich geht das nicht, natürlich schlittern die drei Herren namens Serge, Marc und Yvan von einer unbeholfenen Formulierung in die nächste.
Jeder Satz ist ein Fettnäpfchen, ein Tanz ums goldene Kalb, welches hier Missgunst, Streit, gekränkte Eitelkeiten und Freundschaftsverlust heißt. Jedes Wort ist nur eine weitere Floskel, eine gnadenlos lustige Rutschpartie ins zwischenmenschliche Verderben. Willkommen zu Yasmina Rezas Stück „Kunst“ (1994). Willkommen in der Welt einer europäischen Oberschicht, die sich dermaßen stark für Kunst und Karriere interessiert, dass tragischerweise kein zwischenmenschliches Arrangement mehr möglich ist. Hier ist das verbindende Lachen irgendwo zwischen Konsumanhäufung, Arroganz und gescheiterten Lebensplänen verlorengegangen. Doch beginnen wir von vorn.
Der Dermatologe Serge hat sich ein Bild gekauft, stolze 220.000 Euro hat er dafür hingeblättert. Das Bild selbst ist vollständig weiß, weiß in weiß. Oder sind da auch Abstufungen? Wer hat, der kann. Und wessen Ehe bereits gescheitert ist, der kann sich umso mehr in seinen als objektiv gebrandmarkten Kunstgeschmack einschließen und schützen. Serge trägt das Hemd hochgeschlossen, Roman Weltzien spielt ihn mit wunderbarer Zerrissenheit.
Je gekränkter die Seele, desto eitler der Blick. Je bedrängender das echte Leben, desto abstrakter und nichtssagender die Begrifflichkeiten. Das neue Bild, das schön gerahmte Weiß, ist für Serge wie eine Geliebte – je teurer und luxuriöser, desto begehrter. Und wer sich was leisten kann – und Serge kann das – kann doch nicht alles falsch gemacht haben, oder? Niemals! So säuselt Serge begeistert ins weiße Rund: „Siehst du diese Linie?!“ Schon lange habe er mit diesem Bild geliebäugelt.
Als sein alter Freund, der Ingenieur Marc, das Bild bestaunt, bricht sich die Tragödie, die für das Publikum zum vergnüglichen Spaß wird, Bahn. Marc nimmt kein Blatt vor den Mund: „Diese Scheiße! Für 220.000 Euro!?“ Möge der Streit beginnen, möge sich das ewig Unausgesprochene einer alten Männerfreundschaft in subtilen Hassattacken entladen.
Serge und Marc, das sind zwei Alphamännchen auf intellektuellem und zwischenmenschlichem Amoklauf. Dabei bekommt Marc vom hochaufgeschossenen Schauspieler Stephan Korves ganz fabelhaft eine besondere Aura verliehen. Störrisch verteidigt er seinen Kunstgeschmack, schlank und einnehmend umgarnt Korves das Publikum. Marcs Selbstbewusstein ankert in der Verachtung für den modernen Dreck der Zeit. Wie sympathisch, oder?
Und dann ist da ja auch noch der Indifferenz-Flitzer Yvan, herrlich abgeschlafft und überdreht von Andreas Hammer gespielt. Er versucht zu schlichten, was nicht mehr zu schlichten ist. Zu lange haben sich in gebildeten Nettigkeiten die Abgründe angestaut, zu oft haben Marc und Serge zwar über Gott und die Welt, aber nie über sich selbst miteinander gesprochen.
Wer gerne und äußerst kurzweilig mit spöttischem Blick auf eine selbstgefällige Elite blicken mag, sollte das Studio des Anhaltischen Theaters Dessau besuchen. In der Regie von Wolfgang Hagemann ist eine stilsichere Eins-zu-Eins-Inszenierung des Reza-Stückes gelungen. Das Kammerspiel kann sich ganz auf die großartigen Schauspieler verlassen. Hervorzuheben sind zwei Besonderheiten, die in ihrer ganzen Unterschiedlichkeit für die höhere Magie des Theaters sorgen.
Da sind die farbenfrohen und flotten Videoprojektionen berühmter Kunstwerke, die ab und an und mit genauem Timing auf den weißen Leinwänden landen. Und da ist vor allem immer wieder das Sprechen der Schauspieler ins Publikum: Jeder trägt sich selbst und seine Sichtweisen vor, jeder schätzt den Charakter der Freunde ein. Für den Zuschauer entstehen somit ganz wunderbare Verwirrungen und Blickwinkel: Hat Marc, wie Serge behauptet, wirklich keinen Humor und keine Bildung? Hat Serge, wie Marc behauptet, wirklich mit dem Kauf des Bildes einen wahnsinnigen Schwachsinn verzapft? Ist Yvan, wie Serge und Marc behaupten, wirklich so charakterlos?
Ständig verschwimmen die Blickwinkel, alles ist so relativ und schillernd wie im echten Leben, alles ist so interpretationsbedürftig und ambivalent wie die Betrachtung des weißen Bildes: Sind da nicht wirklich verschiedene Weiß-Töne zu entdecken? Ist das Bild am Ende sogar große Kunst? Die Dinge und Charaktere existieren nicht an sich, immer bekommen wir sie durch die Augen und durch die Betrachtungsweise der Anderen vermittelt. Alles bekommt seine Zuschreibung und Existenz in der Relation. Im Studio des Anhaltischen Theaters wird dies so gelungen wie vergnüglich aufgezeigt. Chapeau!
Text: Mathias Schulze