Thomas Thieme und Frank Quilitzsch: Faust und Fußball, 28. Februar, Volksbühne Halle, 19.30 Uhr, www.volksbuehne.jonsch.net
Der Schauspieler Thomas Thieme, geboren 1948 in Weimar, schrieb als Helmut Kohl oder Uli Hoeneß deutsche Filmgeschichte. Schon lange wird er von dem Journalisten Frank Quilitzsch, geboren 1957 in Halle, interviewt. Aus dem daraus resultierenden Buch „Ich Faust – Thomas Thieme“ folgte 2018 „Thomas Thieme: Ich Hoeneß Kohl“. Jetzt kommen beide Charakterköpfe in die Volksbühne am Kaulenberg. Grund genug, bei Quilitzsch nachzufragen
Glückwunsch zum Titel des Buches: „Thomas Thieme: Ich Hoeneß Kohl“. Was um Himmels willen versteckt sich da zwischen den Buchdeckeln?
Ein durch und durch umtriebiges Schauspielerleben. Thomas Thieme und ich kennen uns jetzt seit 19 Jahren, und seit dieser Zeit interviewe ich ihn regelmäßig am Telefon. Meine Standardfrage lautet: „Herr Thieme, wo sind Sie?“ Mal meldete er sich aus der Theaterkantine in Weimar, wo er jahrelang den Faust spielte, mal vom Rütli in der Schweiz, wo sie Schillers „Tell“ probten. Ich habe ihn auch schon am Hamburger Theater beim Anpassen einer Hose erwischt oder in einem Vorort von Sankt Petersburg, als sie den Endkampf für den Film „Der Untergang“ drehten.
Wieso Petersburg? fragte ich. Weil es dort stellenweise heute noch so aussehe, wie in Berlin 1945, lautete die Antwort. Die mittlerweile 215 Kurz-Interviews, die auf diese Weise für die Thüringische Landeszeitung entstanden, spiegeln seine Film- und Theaterrollen, seine politischen, ästhetischen und fußballerischen Ansichten – und alles auf höchst unterhaltsame Weise.
Und Uli Hoeneß und Helmut Kohl?
Das waren wichtige Rollen für ihn. Erinnern wir uns nur an das Doku-Drama „Der Mann aus der Pfalz“, in dem Thomas Thieme den Kanzler der Einheit verkörperte. Ich habe ihn mehrmals am Set angerufen, weil ich wissen wollte, was diese Rolle mit ihm macht. Thieme hat Kohl ja nicht nachgeahmt, sondern eine Figur erschaffen, die neben dem Biografischen auch eine Menge mit ihm selbst zu tun hat.
Helmut Kohl, sagt er, sei die deutscheste Figur gewesen, die er je gespielt habe. Der habe eine starke Physis und einen unglaublichen Willen zur Disziplin gehabt. Und beides steckt auch im Schauspieler Thieme. Sein künstlerisches Credo: Ob als Faust, Mephisto, Baal, Molière oder Helmut Kohl, Uli Hoeneß, Alexander Schalck-Golodkowski, Thieme spielt immer Thieme. Auf diese Weise hat er auch das Faustische in Uli Hoeneß entdeckt.
In einem Fußballer?
Uli Hoeneß war, wie wir wissen, nicht nur Torjäger, sondern auch, wenn wir seine sehr erfolgreiche Managerkarriere betrachten, ein Machtmensch mit allen erdenklichen Begleiterscheinungen, bis hin zur Verurteilung als Steuerbetrüger. Gerade das hat Thomas Thieme gereizt, die Rolle zu übernehmen. Hoeneß, sagt er, habe wie Faust den Drang, Grenzen zu überschreiten. Beide verbinde die Leidenschaft, in die Dinge zu bohren und dabei fast kaputt zu gehen.
Wie funktioniert der Dialog zwischen Ihnen und Thieme? Wo kommt man sich nahe, wo stößt man einander ab?
Sie wollen wissen, ob wir uns schon mal gestritten haben? Da muss ich Sie leider enttäuschen. Thomas Thieme spielt zwar oft und mit großer Leidenschaft zwielichtige Charaktere, doch als Mensch ist er – na ja – nicht gerade pflegeleicht. Aber immer kameradschaftlich und fair.
Er sagt, was er denkt, und ich bemühe mich, ihn gedanklich herauszufordern, auch mit unangenehmen Seiten seines Lebens zu konfrontieren. Er ist 71, also knapp zehn Jahre älter als ich, und wir sind charakterlich, beruflich und biografisch so verschieden, dass unsere Unterhaltung nie langweilig wird. Und obwohl ich es mit meinen Fragen gern auf die Spitze treibe, hat er noch nie vorzeitig aufgelegt oder Gesagtes zurückgenommen.
In „Thomas Thieme: Ich Faust“ soll es auch um Lust und Frust der deutschen Theaterwelt gehen. Können Sie ein Lust- und ein Frustbeispiel geben?
Sein Frust hatte mit Halle zu tun. Thomas Thieme war Anfang der 1980er-Jahre am dortigen Theater engagiert, der Intendant hieß Peter Sodann. Der hatte den talentierten und zutiefst unzufriedenen jungen Schauspieler von der Zittauer Bühne geholt. Thieme spielte einige Zeit erfolgreich unter Sodann in Magdeburg und Halle. Doch dann hatte er das Gefühl, dass es nicht mehr weiter ginge. Der Ruf nach Berlin, in die Theatermetropole der DDR, blieb aus, und er fürchtete, in der Provinz zu versauern. Also stellte er einen Ausreiseantrag. Darauf passierte lange Zeit nichts. Nur warten und saufen. Das war der Frust. Es dauerte drei Jahre, bis man ihn ziehen ließ. Übrigens ohne den Segen von Sodann.
Und Thiemes Theaterlust?
Die begann am Schauspiel in Frankfurt am Main, wo Adolf Dresen gerade Intendant war, der Vater des Filmregisseurs Andreas Dresen, und den 38-Jährigen in sein Ensemble aufnahm. Von da an ging es steil aufwärts: Berliner Schaubühne, Wiener Burgtheater, Residenztheater München und so weiter. Thomas Thieme ist an allen großen deutschsprachigen Theatern aufgetreten. 2000 wurde er Deutschlands Schauspieler des Jahres, und in seiner Geburtsstadt Weimar, wohin er nach dem Mauerfall zurückkehrte, ist er dann 2001 noch einmal im preisgekrönten „Faust“ durchgestartet.
Warum sollte man am 28. Februar in die Volksbühne kommen?
Ganz einfach: Um nichts zu verpassen. Es wird ein Abend der Lust und Leidenschaft, gespickt mit faustischen und fußballerischen Überraschungen.
Text: Max Feller