„Woyzeck.Blut.Lenz.“, 18. März, Volksbühne Halle, 19.30 Uhr, Tickets: www.volksbuehne.jonsch.net
Der Schauspieler Thomas Thieme kommt zusammen mit seinem Sohn Arthur Thieme in die Volksbühne am Kaulenberg. „Woyzeck.Blut.Lenz.“ ist eine sprachgewaltige Collage, eine musikalische Hommage an den politischen Autor Georg Büchner (1813–1837). Grund genug, bei Thomas Thieme nachzufragen. Ein Gespräch über die Schauspielerei, Halle und seine DDR-Vergangenheit
Ihre Darstellung von Rudolf Gombrowski im Film „Unterleuten – Das zerrissene Dorf“ hat bei mir für einen nachhaltigen Eindruck gesorgt. Das Herrschaftliche, das Knorrige, die brutale Verschlossenheit. Diese Eigenschaften müssen Sie in Ihrer Seele gefunden haben. Oder wie kann man das so gut spielen?
Offensichtlich habe ich sie dort gefunden, obwohl ich privat recht wehleidig bin. Gerade habe ich ein gebrochenes Bein, ich kann Ihnen sagen ...! Gombrowski ist ein Mann der Tat, er nimmt das Schicksal in seine Hand. Und er frisst soviel in sich hinein – bis es ihn …
Wir wollen nicht zu viel verraten, vielleicht will noch jemand den sehenswerten Film schauen, den Roman von Juli Zeh lesen. Das gebrochene Bein wird die Veranstaltung in der Volksbühne nicht gefährden?
Das wird gehen, daran soll es nicht scheitern.
Was unterscheidet einen guten von einem sehr guten Schauspieler?
Was für eine Frage! Wollen Sie ein Buch schreiben? Sehen Sie, es gibt viele brauchbare, viele gute Schauspieler und Schauspielerinnen, aber es gibt nur wenige, die außergewöhnlich sind. Vielleicht ist es am Ende die stärkere Individualität und das stärkere Talent.
Nennen Sie mir solche Außergewöhnlichen des Faches?
Namen soll ich nennen? Schauen wir ins Ausland: Marlon Brando oder Rod Steiger.
1981 stellen Sie einen Ausreiseantrag, 1984 durften Sie die DDR verlassen. Wie viele Spießrutenläufe mussten Sie damals passieren, auch im Privaten?
Es ging. Ich war ja damals bei Peter Sodann in Halle engagiert. Klar, ich hab’ dann keine großen Rollen in Halle mehr bekommen. Der Rest war Geduld meinerseits, aber an außergewöhnliche Repressalien kann ich mich nicht mehr erinnern.
Warum sind Sie gegangen?
Die Atmosphäre in der DDR war nicht meine. Natürlich wurde sich belauert, natürlich fehlte die Freiheit – ach, dieses abgenutzte Wort. Ich kam nach Halle und wusste, dass es so nicht geht – mit mir und dem Theater in der DDR. Vielleicht wäre es noch eine Option gewesen nach Berlin zu gehen, aber damals dort ans Theater zu kommen, war wie ein Sechser im Lotto. Wenn einer starb, standen zwanzig andere auf der Liste. Wenn du aber nicht auf Liste standest, war es aussichtslos. Wobei das, was der frühe Peter Sodann in Halle an künstlerischer Arbeit vollbracht hat, durchaus mit Berlin mithalten konnte. Sodann war damals ein sehr konzentrierter Regisseur. Später hat er die Konzentration auf mehrere Schauplätze verteilt – der Bau des Theaters, die vielen Fernsehrollen.
Haben Sie Ihre Stasi-Akte eingesehen?
Nein, das will ich nicht wissen. Die, die mich bespitzelt haben, will ich nicht entdecken. Ich habe andere Sachen zu tun. Wichtig ist mir, dass ich mich nicht als der bessere, der schlauere Mensch hinstellen will, weil ich damals gegangen bin.
Wie wurden Sie im Westen empfangen? Was fühlten Sie, als Sie in der BRD ankamen, waren Sie dort lange „der Ossi“?
Ich hatte mit dem Schauspiel Frankfurt sehr viel Glück gehabt, es ging fortan ohne Schwierigkeiten an all die großen Häuser. Und natürlich war ich immer der „Ossi“, aber ‘84 gab es noch nicht so viele ostdeutsche Schauspieler im Westen. So hatte ich ein Alleinstellungsmerkmal.
Was führt ein Großkaliber in so einen schönen Kleinkunst-Tempel wie die Volksbühne?
Jonas Schütte hat es mal versucht. Ich dachte, warum nicht. Ich danke Herrn Schütte, dass er mir die Gelegenheit gibt, in der Stadt aufzutreten, in der ich noch eine Rechnung aufhabe, in der ich mich heute so präsentieren kann, wie ich bin und wie ich will. Die anderen Spielstätten haben mir diese Gelegenheit nicht gegeben.
Eine offene Rechnung?
Wichtiges ist für mich in Halle passiert, wir haben es ja gerade besprochen.
Was sehen Sie, wenn Sie heute durch Halle laufen?
Das unterscheidet sich nicht groß von anderen ostdeutschen Städten nach der Wende. Entsetzliche Neubauten, schicke Neubauten. Da ein neues Haus, daneben fällt eins um. Mein Wahrnehmung ist aber eingeschränkt, es waren ja bisher vor allem Auftritte in der Volksbühne.
Was darf das Publikum von „Woyzeck. Blut.Lenz.“ erwarten?
Es wird musikalisch und emotional. Da gibt es die Büchner-Texte „Dantons Tod“, „Lenz“ und „Woyzeck“. Mein Sohn, ein außergewöhnlicher Musiker, begleitet mich an der Bassgitarre.
Das Internetportal „kulturaextra. de“ schreibt über den Abend: „Thomas Thieme ist ein tönendes, stampfendes, flüsterndes, brüllendes, niesendes Gesamtkunstwerk.“ Fokussieren Sie am Werke Büchners etwas Bestimmtes?
Wir kommen sehr über die Emotionen, es schwingt alles ganz gut. Mehr als jeder andere Autor, den ich kenne, schaffte es Büchner, die Klassengesellschaft in ihren Auswirkungen präzise und gewaltig auf den Punkt zu bringen. Da muss man nichts extra hervorheben.
Welche Pläne haben Sie für 2022?
Erst muss das Bein wieder in Ordnung kommen, dann plane ich Abende über „Faust“, es gibt ein paar Filmanfragen. Und meine Lust, mit Jonas Schütte weiterzuarbeiten, ist groß.
Wie entscheiden Sie, welche Filmrolle Sie annehmen?
Im allerniederträchtigsten Falle muss das Honorar stimmen (lacht). Im besten Falle stimmt die Rolle, das Drehbuch, der Regisseur und das Honorar. War Spaß, so pauschal kann ich das nicht sagen, es kommt drauf an.