Geneigte Leser,
1989 ist die Mauer gefallen und die Feierlichkeiten anlässlich 30 Jahre Unverständnis sind in vollem Gange. Herzlichen Glückwunsch! Im Fernsehen laufen jetzt wieder diese DDR-Erklärsendungen. DDR-Erklärsendungen sind sehr wichtig. Denn auch heute noch lässt man sich in Offenbach oder Gelsenkirchen gerne erklären, wer diese komischen Ostler sind. Diese Sendungen sind gut für die Weltanschauung von Menschen, die sich die Welt nicht anschauen. Speziell nicht die im Osten. Es lebe das gepflegte Vorurteil. Oder - die Geschichte schreibt immer der Sieger! So ist die ostdeutsche Geschichte paradoxerweise eigentlich eine westdeutsche. Und das war und ist tragisch bis zum heutigen Tag. Beziehungsweise arrogant und reichlich dämlich. Man kann es heute nämlich landauf, landab sehen, was mit Menschen passiert, denen man sagt, ihr gesamtes bisheriges Leben sei scheiße gewesen. Wenn sie ab jetzt aber schön ihre Ellbogen ausführen, ihre naive Sozialromantik vergäßen und ansonsten immer ordentlich allen anderen Kapital-Götzen huldigten, dann - ja dann - würden ihnen Flügel wachsen. Schöne Flügel aus Geld sollten es sein, mit denen man für immer zu IKEA oder nach Mallorca fliegen kann. Das ging eine Weile gut. Bis die Ersten merkten, dass man sich viele Freundschaften, Zeit füreinander oder die soziale Geborgenheit von früher auch mit den schönsten Flügeln aus Geld nicht zurückkaufen konnte. Doch da war es schon zu spät. Der DDR-Verkaufsvertrag - der fälschlicherweise heute immer noch als Einigungsvertrag bezeichnet wird - war unterschrieben. Und überhaupt hatten die Westler da ihre neue Kolonie schon viel zu lieb gewonnen. Beziehungsweise das bisschen, was sie noch nicht geplündert hatten. Dass der letzte Rest nun auch noch restlos an sie überzugehen habe, dafür hatten sie sich Schergen mit treuen Händen gemietet. Denn so nannten sie ihre Kolonialverwaltung ja wirklich: „Treuhand“. Ob Satiriker an dieser Namensfindung beteiligt waren, ist nicht überliefert. Was freilich überliefert ist, ist, dass viele dieser damals Entwurzelten heute hässliche Politiker von hässlichen Parteien mit hässlichen Zielen wählen. Man hätte es anders machen können. Hätte ... Herzlichen Glückwunsch!
Eike Käubler