Geneigte Leser*,
endlich! Endlich ist der Albtraum vorbei, der die Menschen zwei Jahre lang mit apokalyptischer Präzession da gepackt hat, wo sie es am liebsten mögen – an ihrer Todesangst. Uah! Am Ende haben dennoch einige überlebt, obwohl es lange nicht so aussah. Andere hingegen sind jetzt tatsächlich tot. Gestorben an dieser Seuche. Also nicht an dieser, sondern an einer anderen, die aber auch gerade auf dem Weg ist, die Welt zu erobern. Man nennt sie Doofheit. Das Nachrichtenmagazin „Postillon“ berichtete neulich unter der Überschrift: „Keine Spritze! Impfgegner lässt sich von Zahnarzt mit Hammer betäuben“ von einem derartigen Fall. Nun ist das Aufkommen eben jener Blödheit keineswegs eine Erfindung nur dieser Krise. Die Menschen verwenden diesen Begriff seit dem 9. Jahrhundert. Ursprünglich für Törichte und Taube. Aber das ist lange her. Einen gewaltigen Sprung ins postmoderne Zeitalter hat die Menschheit seitdem hingelegt. Und die Törichten und Tauben stehen dieser Entwicklung in nichts nach, sagen sie. Heute lassen sie sich nicht mehr für dumm verkaufen. Sie gehen spazieren und schreien, dass sie das Volk sind. Sie erheben sich und ziehen mit Fackeln, bereit, die Paläste ihrer Bürgermeister niederzubrennen. Lange musste sich die Bewegung überdies den Vorwurf gefallen lassen, dort würden eigentlich Nazis marschieren. Doch dann begannen sie sich im Kampf gegen Antisemitismus zu engagieren, indem sie Armbinden mit gelbem Stern und Spritze trugen. Man solle das doch als Solidarität mit den im Dritten Reich verfolgten Juden verstehen, sagten sie, und dass es heute fast schon wieder genauso weit sei. So kann es gehen, wenn sich die Törichten und Tauben in historischer Dialektik versuchen und dabei lupenreinen Nazis auf den Leim gehen. Oder um auf den Anfang dieses Textes zurückzukommen: Der Pandemie-Albtraum mag gerade vorbeigehen. Einem Volk aber, dass niemals selbst denken gelernt hat – die Jahrhunderte lange Denk- und Moraldiktatur der Kirche lässt hier grüßen – wird Blödheit so schnell nicht abhandenkommen.
Eike Käubler