Wem gehört mein Dorf?, erhältlich unter: jip-film.de/wem-gehoert-mein-dorf
Noch ist Corona, noch braucht man auch Kino auf dem heimischen Sofa. Die FRIZZ-Filmredaktion empfiehlt die Dokumentation „Wem gehört mein Dorf?“. Natur oder Tourismusboom, lautet die Frage Verwackelte Bilder und idyllische Eindrücke. Die Anfangssequenzen des Dokumentarfilmes „Wem gehört mein Dorf?“ des Regisseurs Christoph Eder hätten nicht stärker sein können. Da sieht man private Aufnahmen, die gut 30 Jahre zurückliegen, da flimmert Eders unbeschwerte Kindheit und Jugend im Ostseebad Göhren auf Rügen wie im Zeitraffer vorbei. Freiraum und Weite, Natur und Entfaltungsmöglichkeiten. Die Veränderungen, die Investionen begannen in den 1990er Jahren. Die Bilder, die der Regisseur anschließend aus der Göhrener Gegenwart einfängt, lassen die intimen Privataufnahmen noch eindrucksvoller werden: Holprige Schlagershows und Schnaps, überfüllte Sommerstrände und Seelachsbrötchen. Was ist in 30 Jahren auf Rügen passiert? Wie wird das alles weitergehen? Eder porträtiert in seinem sehenswerten Film die Einheimischen, die vom Tourismus beschädigte Landschaft und den Ausverkauf des Ostens in den 90er Jahren. Mehr noch: Eder lässt in 96 Minuten abstrakte Begriffe wie „Gentrifizierung“, „Demokratie“, „Strukturwandel“ oder „Turbo- Tourismus“ konkret werden. Da gibt es den millionenstarken Bauinvestor aus Nordrhein-Westfalen und den Gemeinderat, der seit Jahren all die Großprojekte, all die Hotels und Ferienhäuser, desselben abnickt – und das auch dann, wenn die Gemeinde Einkommensverluste erleidet. Da gibt es die Anwohner, die die Biosphärenreservate schützen möchten, die die vielfältigen Redeweisen vom stetigen Wachstum als das durchschauen, was sie sind: Ideologie. Eder begleitet alle mit der Kamera, er lässt sie zu Wort kommen, obwohl er selbst, ein Kind des Dorfes, Stellung bezieht. Aus den konkreten Geschehnissen, aus den plastischen Erzählungen entwickeln sich die großen Fragen unserer Zeit, die von Tokio bis New York relevant sind: Wie wollen wir leben? Wer bestimmt darüber? Welche Gestaltungsmöglichkeiten haben politische und demokratische Prozesse? Können sie der Wirtschaft Grenzen setzen? 2014 formierte sich in Göhren die Bürgerinitiative „Lebenswertes Göhren”. Der Film zeigt, wie sie den Gemeinderat herausfordert, er zeigt die Mühen des Engagements. Nadine Förster, eine führende Kraft der Gruppe, lässt sich einmal mit diesem Statement filmen: „Warum halten sich die Leute in den entscheidenden Momenten raus? Und später motzen sie wieder.“ Natürlich gehen die Entwicklungen weiter, natürlich darf die Pointe am Ende des Filmes nicht verraten werden. Nur so viel sei notiert: Ein besseres Plädoyer für Engagement und Bürgerbeteiligung kann man kaum vor Augen geführt bekommen.
Text: Mathias Schulze