Mario Schneider hat es wieder getan: „Uta“ heißt das neueste Werk des halleschen Dokumentarfilmers, das hoffentlich schon bald in den Kinos starten darf. Zuvor haben wir den Regisseur zum Gespräch gebeten.
Knut Elstermann sprach damals von einem „der schönsten Dokumentarfilme des Jahres“, Deutschlandradio nannte „Heinz und Fred“ eine „anrührende Geschichte von zwei Außenseitern.“ 2007 brachte der Dokumentarfilmer, Autor, Filmkomponist und Fotograf Mario Schneider, Jahrgang 1970, einen Film heraus, der fast schon märchenhafte Züge hat: Ein Vater und sein Sohn, beide leben unter einem Dach im kleinen Ahlsdorf mitten in Deutschland, sie bewohnen ein riesiges Reich aus Stahl und Schrott. Doch wie lebt es sich scheinbar jenseits der Zivilisation? „Heinz und Fred“ ist ein typischer Mario Schneider-Film: Eindringlich, emotional, nahe dran am Menschen und an seiner mitteldeutschen Heimat.
In einem Cafè in Halle nippt Schneider an seinem Getränk. Wenn er zurückblickt, dann sind seine Worte voller kultureller Anspielungen: „Ich kenne noch die Diva in Grau.“ Die Diva in Grau. Muss man noch extra erwähnen, dass sich hinter diesem Titel ein Bildband der Fotografin Helga Paris versteckt? Paris hielt Mitte der 1980er Jahre Häuser und Gesichter Halles auf künstlerisch hochwertige Weise fest. Entstanden ist damals ein Zeitdokument voll bleibender Schönheit, diverse Brüche inklusive.
Ein wenig später, 1990, die Zeit der großen Umbrüche tobte, kam Schneider nach Halle. War er eben noch im Mansfelder Land aufgewachsen, begann er nun ein Studium der Musikwissenschaften, Philosophie und Kunstgeschichte. Es waren Lehrjahre, die mit der heutigen Infrastruktur schwer zu vergleichen sind. Da gab es die große Unsicherheit, die große Neugierde.
Für den Studenten Schneider war es die Zeit der künstlerischen Experimente, des breiten intellektuellen Austausches, der sehr kostengünstigen und sanierungsbedürftigen Häuser. Erzählt Schneider von dieser Zeit, erinnert man sich an diejenige Atmosphäre, die auch der Schriftsteller Lutz Seiler mit seinen großartigen Romanen „Kruso“ und „Stern 111“ eingefangen hat.
„Als Student hatte ich damals sogar ein Extrazimmer für mein Klavier. Da war zwar keine Heizung drin, aber dieser mondänverrottete Anstrich, dieser bohèmehafte Flair und diese langen Feier- und Diskussionsnächte in den Wohngemeinschaften der Künstler- und Schriftstellerszene sorgten dafür, dass es für mich so etwas wie eine Schönheit im ruinösen Zustand gab“, so Schneider.
Fällt im gegenwärtigen Halle ein älteres Haus sofort auf – und aus der Reihe, war es damals genau umgekehrt. Schneider, der sich mit seinen Dokumentarfilmen als Chronist der Wendezeiten einen deutschlandweiten Namen gemacht hat, will aber auch nichts beschönigen: „Ab ungefähr 1993 fingen die großen Sanierungen an, fortan war der Baulärm jahrelang ein treuer Begleiter.“
Neue Hintergundgeräusche umgaben Schneider ab 1998, sein Geschick für Filmmusik-Kompositionen führte ihn nach München. Krasser hätten die kulturellen und sozialen Unterschiede im vereinten Deutschland nicht sein können. „Dort habe ich ab 17 Uhr Tennis gespielt, es gab Schweinsbraten und die Alpen“, so Schneider.
Und warum fuhr er damals fast jedes Wochenende nach Halle, warum zog er drei Jahre später wieder zurück in die Heimat? Alte Freunde, private Beziehungen, habituelle Verbundenheiten. Die Geschichten des Ostens waren und sind noch lang nicht auserzählt, die drei bis vier Freunde aus WG-Zeiten eröffneten neue künstlerische Möglichkeiten.
Halle bot und bietet dem vielgereisten Schneider genau jene Haltung, die er für seine nah am Menschen tickenden Arbeiten braucht. Obwohl es Angebote gab, hätte ihm der Lebensstil in London, New York oder Berlin nicht gutgetan: „Ich kann am besten arbeiten, wenn ich mich zurücklehnen kann. Halle bietet mir Ruhe und einen guten Blick auf die Welt, an Überdrehtheiten und schnelllebigen Trends bin nicht interessiert. Halle ist meine Oase.“ Führt Schneider heute seine westdeutschen Freunde durch die Stadt, überrascht ihn die Reaktion beständig aufs Neue: „Viele denken immer noch, dass Halle eine verschmutzte und abgehangene Industriestadt ist. Sind sie dann einmal hier, sind sie total baff.“
Schneider spricht von der Stadtarchitektur, die Jahrhunderte aufeinandertreffen lässt, von den zauberhaften Burgen, von der zentralen Lage innerhalb Deutschlands und von einer für ihn wesentlichen Infrastruktur. Da die Mitteldeutsche Medienförderung, dort der Mitteldeutsche Rundfunk, hier die Theater und seine mitbegründete hallesche Filmproduktionsfirma „42film“.
Und das Private nicht zu vergessen, Schneider erzählt: „Ich bin ja auch Vater, Halle ist ein schöner Ort, um den Jüngeren eine unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen. Hier kann man die Kinder laufen lassen.“ Gerade wird an einem Roman der Wendezeit und an einem Fotoprojekt über Leute aus Halle gearbeitet. Sein neuer Film „Uta“ steht schon in den Kino- Startlöchern. Den eigenen Anspruch haben die Werke bislang eingelöst, Schneider formuliert ihn so: „Ich möchte mit meinen Arbeiten etwas Wahres über die Menschen herausfinden.“
Text: Mathias Schulze