Im Osten – Geschichten aus der Sonderzone, 12. und 13. Juli 24 auf dem Schloss Kannawurf (Thüringen); 17. bis 21. Juli und 24. bis 28. Juli auf der Oberburg Giebichenstein Halle, 16. bis 18. August in der Villa Weidig Saalfeld und vom 21. bis 25. August im Garten des Deutschen Bienenmuseums Weimar, alle Termine: www.anjapanse.de und www.schaustelle-halle.de
„Im Osten – Geschichten aus der Sonderzone“ heißt ein neues Sommertheater von „Konsortium Luft & Tiefe“ in Zusammenarbeit mit „Triple A“, das im Juli auf der Oberburg Giebichenstein zu erleben ist. Anna Keil, Heike Ronniger, Thomas Dehler und Simon van Parys wollen „authentische Geschichten und Schicksalen aus Ostdeutschland“ erzählen. Grund genug, bei der Regisseurin Anja Panse nachzufragen
Hallo, Anja Panse, woher eigentlich kommt die Idee fürs Stück?
Deutschland ist gespalten. Wir hören es im Radio und lesen es in Zeitungen. Der Graben zwischen Ost und West scheint wieder tiefer zu werden. Das schlägt sich in Wahlergebnissen nieder und in Umfragen auf der Straße. Wie kann es sein, dass 35 Jahre nach dem Mauerfall, die deutsche Teilung nicht überwunden werden konnte? Denken und fühlen die Menschen in Ostdeutschland wirklich anders als ihre westdeutschen Mitbürger? Offenbar gibt es sehr unterschiedliche Wahrnehmungen über die gesellschaftlichen Entwicklungen. Das „Konsortium Luft & Tiefe“ ist der Ansicht, dass es an der Zeit ist für eine Aufarbeitung der Nachwendezeit - aber dieses Mal aus radikal ostdeutscher Sicht.
Noch mal zur Motivation: Speist sie sich aus privaten Erfahrungen, aus medialen Diskursen?
Nachdem Dirk Oschmann sein polemisches Buch über den Osten namens „Der Osten ist eine Erfindung des Westens“ veröffentlicht hat, kam es zu einem medialen Wutausbruch über seine Deutung der Auswirkungen der deutschen Einheit auf die ostdeutsche Mentalität. Diese Resonanz zeigte deutlich, dass die westlich dominierte Medienlandschaft mit großem Unverständnis reagiert, wenn über Ungerechtigkeiten im Zuge der Einheit gesprochen wird. Eine ernsthafte Recherche enthüllt jedoch, welch große Umbrüche und Veränderungen die ostdeutsche Bevölkerung hinzunehmen und zu verkraften hatte. Eine ungeheure Dimension wird erkennbar. Unvergesslich sind die Überforderung der Erwachsenen, mit der neuen Welt zurechtzukommen. Soziale Auf- und Abstiege, Freud und Leid lagen oft nah beieinander. In unserem Stück haben wir auf eine gemischte Besetzung Wert gelegt, so dass die Spielerinnen und Spieler auf ihre persönlichen Erfahrungen in zwei unterschiedlich geprägten Wertesystemen zurückgreifen können.
Die Ankündigung spielt mit Formulierungen wie „Kolonisierung nach ’89“.
Nun sicher klingt der Satz vielleicht übertrieben, wenn man sich jedoch anschaut, dass die ehemaligen DDR-Bürger heute so wenig wie kein anderes Volk in Europa von dem Land besitzen auf welchem sie leben, lässt das aufhorchen. Die Besetzung aller Schlüsselstellen in Wirtschaft, Verwaltung und Kultur ist ebenfalls bemerkenswert. Die Aufarbeitung all dieser Themen ist bisher zu wenig kritisch und vor allem öffentlichkeitswirksam geschehen. Oder wussten Sie, dass die Akten der Treuhand bis heute unter Verschluss gehalten werden? Und zur Vorbereitung des Stückes haben wir viele Interviews mit Menschen geführt. Ihre Erfahrungen und Geschichten fließen in dieses Sommertheaterstück ein. „So wenig wie kein anderes Volk in Europa besitzen ehemalige DDR-Bürger heute von dem Land etwas, auf welchem sie leben.“
Was berichten sie?
Wie sie die Wende und die Zeit nach dem Mauerfall erlebten. Wie sie sich anpassen mussten an die neuen Anforderungen des nun kapitalistischen Systems. Aber auch witzige Anekdoten werden erzählt. Aus all diesen Schicksalen erarbeiten wir einen Bilderbogen aus verschiedenen Szenen, der die Vielschichtigkeit und die Aufbruchstimmung der Nachwendezeit zu beschreiben versucht. Auch westdeutsche Menschen kommen zu Wort, die gleich nach der Wende in die neuen Bundesländer kamen und hier ihr Glück versuchten. Durch die authentischen Erlebnisse öffnen wir die Tür zu den Gefühlen und Erlebnissen der Menschen, die mit dem Zusammenbruch der DDR ihre Heimat verloren. Was geschah mit den Menschen, die als Verlierer der Geschichte wahrgenommen werden, als Menschen zweiter Klasse durch jahrzehntelange Abwertung in den Medien und in Gehaltszahlungen.
Was erwartet das Publikum weiterhin?
Ein leichter, heiterer Abend erwartet unser Publikum, der sich mit den Besonderheiten der ostdeutschen Mentalität auseinandersetzt. Wir beleuchten den „Osten“, wie er sich in seiner Vielfältigkeit zeigt und stellen ihn den einst versprochenen „blühenden Landschaften“ gegenüber. Ein Abend über die Zeit vom Mauerfall bis in die Gegenwart. Es wird gesungen, gestritten, gelacht und erinnert. Polemisch und frech-provokant verspricht dieses Stück zu werden, das alte Gewissheiten ins Wanken bringt.
Noch einmal das Stichwort „mediale Diskurse“: Welche Nuancen fügt das Stück ihnen hinzu?
Wir fügen Humor hinzu! Denn die sehr ernsthafte und oft belehrende Berichterstattung, warum der „Ossi“ so und so tickt, wirkt oft überheblich und realitätsfern. Wir werden viele verschiedene Themen aufgreifen wie zum Beispiel die Treuhand, die Stasi, den schnellen Anschluss an die BRD und seine Folgen, die Härten der Nachwendezeit, Vorurteile von Ost gegenüber West und umgekehrt. Doch bei aller Ernsthaftigkeit dieser Themen ist es unser Anspruch, dass die Menschen lachen dürfen. Lachen über die skurrilen Situationen, über sich selbst und natürlich über Klischees, die sich bis ins Heute hinein halten. Lachen überwindet Gräben und verbindet.
Text: Max Feller