Charly Hübner & Caren Miosga, 6. Juli, Steintor-Varieté Halle, 20 Uhr, Tickets: www.kaenguruh.de
In der Lesung von Caren Miosga und Charly Hübner dreht sich alles um Uwe Johnsons Roman „Jahrestage“: Tag für Tag, über ein Jahr hinweg, erzählt Gesine Cresspahl ihrer zehnjährigen Tochter aus der Familiengeschichte. Das Leben in Mecklenburg in der Weimarer Republik, während der Herrschaft der Nazis, in der sich anschließenden sowjetischen Besatzungszone und den ersten Jahren in der DDR. Zugleich schildert der Roman im Epochejahr 1967/1968 das Leben von Mutter und Tochter in der Metropole New York. Ein einzigartiges Panorama deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert. Grund genug, bei Caren Miosga nachzufragen
Hallo, Caren Miosga, eine Uwe-Johnson-Lesung wie sind Sie denn zu diesem Projekt gekommen? Warum haben Sie mitgemacht, und wo liegt die Faszination? Als mich Regisseur Wolfgang Stockmann fragte, ob ich Lust hätte, die ungekürzte Fassung von Johnsons „Jahrestage“ gemeinsam mit Charly Hübner als Hörbuchfassung zu lesen, war ich schier aus dem Häuschen. Uwe Johnson ist für mich einer der wichtigsten und wunderbarsten Autoren, die wir in Deutschland haben. Dass daraus nun auch noch eine Aufführung für die Bühne wurde, ist umso toller, da Johnson zu Unrecht (!) vielen unbekannt ist.
Was haben Sie aus der Beschäftigung mit Uwe Johnson gelernt?
Vor allem schauderten mich die Parallelen. Mariupol, jetzt Charkiw, das ist alles wieder da. Auch der Antisemitismus. Vieles von dem, was Gesine Cresspahl aus der Vergangenheit von NS-Verbrechen und anschließender sowjetischer Besatzung in der DDR erinnert und was sie in der amerikanischen Gegenwart von Rassenunruhen und Vietnamkrieg erlebt, flackert auf erschreckende Weise auch heute wieder auf.
Wie kann man sich den Abend im Steintor-Varieté vorstellen? Wie begründet sich die Auswahl der Passagen, die in Halle vorgetragen werden?
Wie ein Mosaik aus dem 1875 Seiten umfassenden Roman: mal Episode, mal Gespräch, mal Zeitungsmeldung der New York Times oder Alltagsereignis der New Yorker Jahre 1967/1968 inmitten von Vietnamkriegs- und Studentenprotesten und den Vorbereitungen des Einmarsches der sowjetischen Truppen in die ČSSR. Klingt wuchtig, wird aber herrlich jazzig unterlegt von der tollen Pianistin Ninon Gloger.
Einmal „Jahrestage“ lesen, einmal hören: Wo liegen die Nuancen, Bereicherungen des Hörens?
Weil die „Jahrestage“ im besten Wortsinn ein unauslesbares Buch sind, das man auf vielen Ebenen neu entdecken kann, sollte man es immer mal wieder lesen, aber – am besten auf einer langen Autofahrt – am Stück hören, weil da die Johnsonsche Sprachvielfalt am spürbarsten wird, und – na klar – weil der wunderbare Charly Hübner liest.
Text: Max Feller