„Hallekrimi 73 – Schnongse, Scheekser und Moneten“, 9. bis 31. August, Graben der Moritzburg Halle, jeweils 19 Uhr, alle Termine: www.apron.de
Das Theater Apron bespielt wieder den Graben der Moritzburg. „Hallekrimi 73 – Schnongse, Scheekser und Moneten“ heißt das diesjährige Sommertheater. Eine Rezension von Mathias Schulze „Und jetzt der Hit des letzten Jahres! Jetzt der Hit von 1972!“ DJ Lutze (Oliver Rank) weiß, worauf es ankommt: Ohrwürmer aller Länder, vereinigt euch! So steht der Lutze am Mischpult, die Plattensammlung ist üppig, die LSD-Farben knallen von den Wänden, die Lockenpracht wackelt, und die enge, grüne Sporthose ist der Albtraum aller Beinfreiheit. Ein Hoch auf Ausstattung (Lynne Eichhorst und Antje Noch) und Bühnenbild (Martin Patze)! Und Lutze weiß, was der Volk braucht: Musik! Wir sind in Halle im Jahr der Weltfestspiele 1973 in Ost-Berlin, bald wird der Studentenklub „Turm“ eröffnet. Möge die Musik die unschönen Begleitgeräusche der Weltfestspiele – Festnahmen von sogenannten „Asozialen“, circa 1.800 junge Menschen kamen in Spezialheime oder Jugendwerkhöfe – übertönen! Also dreht Lutze die Butze auf Anschlag: „Auferstanden aus Ruinen“ oder „Bau auf, bau auf“. Während sich noch ein Nazi die Kugel gibt, tuckert ein Multicar durch den Burggraben, die Jugendfreunde mit ihrem blauen FDJ-Hemden springen und singen, tanzen und machen. Ja, die Genossen wollen positive Geschichten sehen! Voll fetzig!
„Hallekrimi 73 – Schnongse, Scheekser und Moneten“ wird wohl auch diesen Sommer den Theater-Zuschauerrekord in Halle aufstellen. Und eins ist sicher: Die Idee, den 50. Geburtstag des „Turms“, also die Arbeit vieler Studenten und Studentinnen im Jahre 1973, zum Thema eines Theaterstückes zu machen, ist genial. Auch der Brückenschlag zu den Weltfestspielen, die laut offiziellem Sprech die DDR als „weltoffen“ zeigen sollten, ist ein Coup. Da ist alles drin: Jugend, Sehnsüchte, Freiheit, staatliche Repressionen, Lokalkolorit und Geschichte, deren Auswirkungen bis heute spürbar sind! Mehr theatrales Potenzial geht nicht.
Doch wie im Fußball so ist es auch auf der Bühne: Wie kriegt man das Potenzial auf den Platz? Die Basics müssen stimmen – (Sommer) Theater braucht Spiel und Witz, Atmosphäre und pfiffige Ideen. Dann können die großen gesellschaftlichen Themen in gelungene Spielzüge eingeflochten werden. Das Stück, das von Alexander Terhorst geschrieben und inszeniert wurde, hat Ideen und Witz. Es begnügt sich aber nicht mit dem eben beschriebenen Potenzial. Da kommen noch schöne Tanz-und Gesangsszenen hinzu, die auf bekannte Hits absurde Texte legen. Da muss noch an diverse DDR-Begriffe, an die alte hallesche Mundart und an Reinhold Hoyer (1846-1928) gedacht werden. Da kommen noch eine Kriminalgeschichte und die Thematik, dass die Stasi RAF-Mitglieder versteckt hat, hinein. Natürlich darf auch der staatlich verordnete Antifaschismus und dessen brutale Realität – das gnadenlos Fortleben von Rassismus in der DDR- Bevölkerung – nicht fehlen. Schließlich muss auch noch der klassische Bollerwagen-Humor des Apron-Sommertheaters seinen Platz finden. Uff, das ist viel, da platzt es aus allen Niethosen! Hier ist auch die Ersatzbank voller Weltstars! Doch was passiert auf dem Platz? Dort offenbaren sich Schwierigkeiten. Immer wieder müssen Katja Röder, Jesper Vöcks, Andrea Martin oder Astrid Beier, Katrin Schinköth-Haase und Jette Pook an die (Monolog-)Rampe oder in den erklärenden Dialog. Es muss viel erzählt und berichtet werden. Während Hauptkommissar Fuchs (Matthias Rohrschneider) mit Horst-Schlämmer-Zähnen und ständigem Harndrang durch die Gegend flitzen kann, während der Gesang von Lydia Viloria über alle Zweifel erhaben ist, gibt es immer wieder Szenen, die sich in Erklärungen üben, aber ein flottes Spiel unterbrechen. Querpässe statt Torschüsse. Und natürlich gibt es auch Situationen, die das Apron-Potenzial ausspielen. Zwei Beispiele: Einmal flattert Angela (Lydia Viloria) von der Bühne. Während ihres Abganges klammert sie sich an die Stange, die die kleine Sommerüberdachung festhält. Scheinbar völlig sinnfrei öffnet sie diese Stange, sie spricht und singt hinein. Plötzlich ertönt ein Echooder ein Schalleffekt, so gelingt ein wunderbarer theatraler Aha-Effekt. Eine kleine Spielerei, eine große Wirkung. Mehr davon! Oder nehmen wir jene Szene, in der ABV Kalle Kubischeidt (Katrin Schinköth-Haase) komplett freidreht. In Erinnerung an Edward mit den Scherenhänden spricht und zappelt der Abschnittsbevollmächtigte aus der Bahn tretend von einem frühkindlichen Trauma: Schnipp, schnapp, Finger ab! Das ist so unvermittelt brutal, gruselig und irritierend, dass es wunderbar anarchistisch wirkt. Mehr davon! Und was ist mit dem traumschönen Zitat aus Christa Wolfs Erzählung „Sommerstück“, das den Flyer ziert? Da heißt es: „Heute, da die Endlichkeit der Wunder feststeht, der Zauber sich verflüchtigt hat, der uns beieinander und am Leben hielt (…): Heute scheinen wir keine stärkere, schmerzlichere Sehnsucht zu kennen, als die, die Tage und Nächte jenes Sommers in uns lebendig zu halten. Damals haben wir gelebt.“ Hand aufs Herz: Schenkt man dieser Sehnsucht Gestik, Mimik und einen Handlungs- und Entwicklungsstrang, ist sie groß genug, um allein ein Theaterstück zu füllen.
„Hallekrimi 73 – Schnongse, Scheekser und Moneten“ ist hingegen so ambitioniert, dass es besagte Sehnsucht nur auf die Reservebank schafft. Und wenn wir schon einmal bei den Händen sind, die aufs Herz gelegt werden: Der Großteil des Publikums sieht es wohl anders, einem Großteil des Publikum scheinen solcherlei Überlegungen komplett egal zu sein. Abgestimmt wird mit Händen und Füßen, Applaus und Beifall wie im Stadion!
Text: Mathias Schulze