Mord an Bord, bis 28. August, Graben der Moritzburg, alle Infos: www.apron.de
Mit dem diesjährigen Stück „Mord an Bord“, das noch bis 28. August im Graben der Moritzburg gespielt wird, endet die federführende Alexander-Terhorst-Sommertheater-Ära beim Theater Apron, die sich in den letzten Jahren zu einer besucherstarken Erfolgsgeschichte aufgeschwungen hat. Eine persönliche Würdigung von Mathias Schulze
Liebes Apron-Theater, meine Sommer der letzten Jahre waren immer auch mit Euch verknüpft. Irgendein Freiluft-Stelldichein, irgendein abgefahrener Klamauk mit Lokalkolorit, wunderbar augenschmerzenden Kostümen, liebevoll hingezimmerten Bühnen, DDR-Geschichte und umgedichteten Hits und Schlagern, mit Hühnerstallwirbel und versauten Anspielungen gab es immer. Tatort: Graben der Moritzburg! Wie lange geht unsere Liaison denn schon? Ich will nicht recherchieren, schreibe ich doch persönliche Zeilen, aber so ungefähr acht Jahre waren es, in denen Text und Regie, die Handschrift also, meistens von Mastermind Alexander Terhorst kamen. Und was haben wir alles zusammen erlebt! Da gab es (mindestens einen) Schlaganfall durch Schlagerhall, da gab es einen Gummistiefeltwist der Bunaer Chippendales oder auch einen Axel Kohout in der Rolle seines Lebens, der als Psychopath, Clown und Tarzan durch die Gegend sprang. Und oft (oder immer?) ging es auch um einen Mord: Mord im MDR, Mord im Turm, Mord auf der Kreuzfahrt, Mord im Kühlschrank. Egal! In Euren besten Momenten wart ihr für mich der Stinkefinger im Kultursystem. Ästhetik, Plot, dramaturgisches Geschick, Wichtigtuerei, intellektuelle Schmerzgrenzen, konventionelle Theaterspielregeln. Das schien Euch alles ziemlich egal zu sein - die Schauspielenden stürzten sich mit sichtbarem Spaß in ihre Perücken, das Abrattern redundanter Kalauer schien Euch genauso wenig zu stören wie das Schunkeln des Publikums, das an den ZDF-Fernsehgarten erinnerte. In Euren besten Momenten wart ihr mit Bollerwagen-Humor ein Stachel im Fleische der kulturellen Selbstüberhöhung. Bei Euch musste man nicht erst den Titel der Veranstaltung durch einen alle Codes und Fremdsprachen beherrschenden Übersetzer schicken. Versteckte Botschaften gab es bei Euch nicht. Oder vielleicht habe ich sie nicht verstanden? Bei Euch bekam man alles direkt auf die Nase gebunden. Bei Euch trat der Opi mit Rollator zum Klassenkampf an. In Euren besten Momenten habt ihr wunderbaren – und auch gesellschaftlich relevanten – Trash, Nonsens und Ulk auf die Linse geknallt. Bunt und schrill. Ich habe das 2016 mal so beschrieben: „Klamauk ohne Ende. Und zwar solange, bis die letzte Bastion Sinn vom Absurden besetzt ist. Ein unendlicher Dreh, der beides zugleich ist: Laut und leise, schlau und bratzig, hässlich und schön, tief und schwachsinnig. Denkt man an Volkstheater, drückt einem Apron die Bierdose in die Hand. Denkt man an Politik, zeigt einem Apron eine erfahrungsgesättigte Weltreise – im Bollerwagen von Schwafelhausen nach Bürokrazien.“ In den besten Moment wart Ihr belebende Anarchie! Manchmal habt Ihr sogar die Frechheit besessen – ähnlich wie Quentin Tarantino – komplett freidrehende Momente zu kreieren. Ihr seht also, wir hatten einige gemeinsame Höhepunkte! Rauschende Nächte, Haut an Haut. „In den besten Moment wart ihr belebende Anarchie!“ Aber natürlich, und das wisst ihr, hatten wir auch Durchhänger. Manchmal war mir langweilig, manchmal nervten mich Fremdschäm-Momente, diverses Rumgefuchtel oder nicht-spielerisches Von-der-Rampe-Sprechen, manchmal war ich froh, wenn es vorbei war. Alles Dinge, denen ich aber interessiert beiwohnte, denn der Großteil des Publikums reagierte mit Sternchen-Augen und Begeisterung. Ein faszinierendes Phänomen! Es auf der Platte zu haben, empfinde ich als bereichernd. Da muss ich jetzt nicht mit dem Wahlverhalten, mit der gesellschaftlichen Spaltung kommen. Wer lesen kann, kann von selbst mitdenken. Ihr habt es geschafft, ein Publikum anzusprechen, das sich vermutlich eher weniger in Ausstellungen von Burg-Studis rumtreibt. Volkstheater im wahrsten Sinne des Wortes. Eine ernstzunehmende Kunstform. Will nicht jeder machen, kann nicht jeder machen, muss man erst einmal hinkriegen. Und damit habt ihr einen Besucherrekord nach dem nächsten aufgestellt! Damit habt ihr bewiesen, dass Ihr eure Heimatstadt, die Leute sehr gut kennt und versteht. Damit habt ihr bewiesen, dass ihr ein perfekter Gesprächspartner und Ratgeber seid, wenn es um Themen wie „gesellschaftliche Spaltung“ geht. Chapeau! So soll es sein, ich kann mir denken, dass ihr die Einnahmen für andere Projekte sehr gut gebrauchen könnt. Und schließlich waren mir die Interviews mit Regisseur Alexander Terhorst immer ein Vergnügen: So lustig! Pfiffig waren sie immer! Und dann knallt der mir neulich diesen Satz auf den Tisch: „Nach acht Jahren ‚Terhorst-Theater‘ mit Apron ist es Zeit für neue Handschriften auf der Bühne und im Textbuch.“ Ein Zucken. Vermutlich hat er Recht, ist die Sache auserzählt. Aber auch ein bisschen Wehmut. Wer soll denn jetzt im Sommer meine anarchischen Tendenzen befeuern? So mal richtig den Verstand fordern, indem man einfach nur Quatsch macht? Ich muss es gestehen, liebe Apron-Leute: Ja, es ist gut, dass neue Handschriften ins Sommertheater einziehen. Und dennoch ist da auch ein bisschen Abschiedsschmerz. Was bleibt, ist die Erinnerung an einen Terhorst-Humor, den ich sehr schätze, der tief geht, der Zwerchfelle sprengen kann, der sogar in Halle ein Alleinstellungsmerkmal hat. Auch wenn ich nicht, so ehrlich darf ich sein, alle Inszenierungen auf den Knien meines Herzens empfehlen würde. Was bleibt, ist eine gewisse Lücke im Sommer. Möge sie mit neuer Anarchie gefüllt werden!
Text: Mathias Schulze