Andrej Hermlin and his Swing Dance Orchestra, 3. März, Händel-Halle in Halle (Saale), 16 Uhr, Tickets: www.cultour-buero-herden.de
Der Berliner Andrej Hermlin, der Sohn des Schriftstellers Stephan Hermlin, kommt mit seinem Swing Dance Orchestra nach Halle. Gespielt werden die Hits der ganz Großen der Swing-Ära: Glenn Miller, Benny Goodman, Jimmie Lunceford oder Duke Ellington, neuerdings allerdings in eigenen Arrangements. Grund genug, bei Hermlin nachzufragen. Ein Gespräch über Politik, über die Selbstzerfleischung der linken Kräfte, über Musik, seinen berühmten Vater und die Kindheit
Hallo Andrej Hermlin, Sie und die Partei „Die Linke“: Wie ist der Stand der Dinge?
Ich bin vor einem Vierteljahr ausgetreten. Der Parteivorstand hatte Mitte Oktober eine Erklärung zum Massaker der Hamas in Israel veröffentlicht, die für mich völlig unannehmbar war. Allerdings handelt es sich um eine Entfremdung, die schon vor Jahren begonnen hatte. Ich bin im Februar 1990 in die PDS eingetreten, damals, als alle austraten. Ich hegte die Hoffnung, dass aus der ehemaligen SED eine moderne, demokratische, sozialistische Partei werden könnte.
Damals.
Über die Jahrzehnte gab es immer wieder bittere Enttäuschungen. Mir ist bewusst, dass man als Mitglied einer Partei Gegenwind auszuhalten hat. Mit der erwähnten Erklärung des Vorstandes war meine persönliche Grenze aber überschritten.
Sie sollten umgestimmt werden.
Ja, es gab Bemühungen, mich vom Austritt abzuhalten, von Menschen, die ich persönlich für sehr anständig halte. Diese Bemühungen konnten keinen Erfolg haben, mein Entschluss stand fest. Dennoch halte ich eine linke Partei in Deutschland für absolut notwendig.
Was sagen Sie zum großen Thema namens „Selbstzerfleischung der linken Kräfte“?
Dass die Linken eine Tendenz zur Selbstzerstörung haben, ist nicht neu. Was auch daran liegt, dass man sich selten darin einig ist, was links bedeutet. Es gibt auch einen Hang zur Rechthaberei. Meinungsunterschiede sind unvermeidlich. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass Antisemitismus in einer linken Partei nichts verloren hat.
Vermutlich verstehen sich besagte Stimmen gar nicht als antisemitisch.
Man kann Antisemit sein in dem Glauben, keiner zu sein.
Ich wage einen Themenwechsel: Sie und das „Swing Dance Orchestra“ – das ist in schweren Zeiten die frohe Botschaft des Swing. Ihre Band verzichtet auf elektrische Verstärkung, auch die Bühnengarderobe (Frisuren, Mikrofone oder Notenpulte) entsprechen den historischen Vorbildern der 30er Jahre. Können Sie das Verhältnis von Musik, Konzerterlebnis und Realität präzisieren?
Die Menschen sind, ähnlich wie in den 30er Jahren, verschreckt, verunsichert, teils überwältigt von den Krisen unserer Zeit. Sie suchen Romantik, Zerstreuung, Ablenkung. Da bietet sich der Swing der 30er Jahre als das ultimative Kontrastprogramm an. Die Musik ist elegant und beschwingt, sie lässt den grauen Alltag vergessen – man taucht gewissermaßen in eine Traumwelt ein, und dazu gehören die blitzenden Trompeten und Saxophone, die Art Deco Pulte, unsere originalgetreue Garderobe. Man darf nicht vergessen, dass der Swing ganz viele Facetten hat. Er kann alles sein, verrückt, überschwänglich, traurig oder auch melancholisch. Die Swingmusik stammt bekanntlich aus einer Zeit modernen Designs, eleganter Mode und bahnbrechender Architektur. Die Umgangsformen haben sich geändert. Heute spricht man im Club nicht mehr miteinander, damals fordert der Herr die Dame zum Tanz auf, man führt Gespräche, vieles war angedeutet, nicht ausgesprochen. „Ich habe meinen Vater geliebt und bewundert, und ich habe versucht, ihm nachzueifern.“
Reden wir von einer Wirklichkeitsflucht?
Ich persönlich lehne das ab. Ich finde, man sollte im Hier und Jetzt leben und die Realitäten der Gegenwart zur Kenntnis nehmen. Aber jeder Mensch braucht etwas, woran er sich aufrichten kann. Kunst, Theater, Musik sind dabei von größter Bedeutung. Gerade in unseren Zeiten. Und deshalb hielt und halte ich das völlige Ausbremsen der Kultur während der Pandemie noch immer für einen großen Fehler. Man hat damals nicht auf die Gesundheit der Seele geachtet.
London, Hong Kong, Mailand, Wien, Moskau, Tel Aviv oder New York: Sie haben mit Ihrem Swing Dance Orchestra schon viele Weltreisen bestritten. Was waren auf diesen Reisen die entscheidenden Erlebnisse, Erfahrungen, Gedanken, die heute ihr Verhältnis zu Deutschland definieren?
Dank meines Vaters bin ich ja schon als Kind in andere Länder gereist. Später haben dann meine Aufenthalte in Kenia, Israel und Amerika mein Bild von der Welt und damit auch von Deutschland ergänzt. Denke ich an New York, fällt mir auf, dass mir die Menschen dort irgendwie lebensfreudiger und optimistischer erscheinen. In Deutschland gibt es so einen Hang zum Pessimismus, zur schlechten Laune, zur Missgunst gegenüber Anderen. Neid ist in Deutschland sehr weit verbreitet. Wenn in der USA jemand erfolgreich ist, dann freut man sich für ihn, versucht ihm nachzueifern. Bei uns ist das anders. Als ich kurz vor Ausbruch der Pandemie privat mit meiner Frau in Malaysia war und in den Häuserschluchten von Kuala Lumpur stand, kam mir der Gedanke, dass wir Deutschen uns oft für den Nabel der Welt halten – und dabei sind wir nicht viel mehr als ein kleines Dorf.
Gab es Momente in Ihrem Leben, in denen Sie sich einen weniger berühmten Vater gewünscht haben? Ein Leben ohne Schatten.
Nein, ich lebte nie in einem Schatten, und obwohl es auch vereinzelt Züge an meinem Vater gab, die ich weniger mochte – welcher Sohn sagt das nicht? – war er genau der Vater, den ich mir gewünscht hatte. Meine Eltern haben mich nie unterdrückt oder dominiert, sie haben mir vielmehr die Möglichkeit gegeben, mich frei zu entfalten. Dass mein Vater hin und wieder im Fernsehen zu sehen war, dass er auf der Straße angesprochen wurde, hat mich nie gestört. Ganz im Gegenteil, ich habe ihn geliebt und bewundert, und ich habe versucht, ihm nachzueifern.
Haben Sie alle Sachen von Ihrem Vater gelesen?
Nein, nicht alles, aber einen großen Teil – vor allem die Prosa. Die Balladen, die Gedichte hingegen habe ich früher kaum verstanden. Dazu fehlte es mir einfach an der nötigen Kenntnis, an literarischer Bildung, ich konnte die Codes nicht entschlüsseln. Ich bin leider an Literatur weit weniger interessiert als an Musik – ein Umstand, den mein Vater übrigens mit Gleichmut hingenommen hat. Ich bekenne mich dazu, ein relativ unbelesener Mensch zu sein. Es gibt ja viele Leute, die so tun, als wüssten sie über alles Bescheid. Zu denen will ich nicht gehören. „Es gibt ja viele Leute, die so tun, als wüssten sie über alles Bescheid. Zu denen will ich nicht gehören.“
Was ist Glück?
Als ich klein war, als ich ein Kind war, erlebte ich Glück. Ja, meine Kindheit fehlt mir.
Warum?
Ich lebte in einer kleinen, überschaubaren Welt. Heute ist mir die Welt manchmal zu groß. Meine Eltern fehlen mir, und das Gefühl, beschützt und ungefährdet zu sein. Den Blick aus dem Fenster meines Kinderzimmers vermisse ich – in unsere Straße, in den Wintern meiner Kindheit, wenn es draußen schneite. Dabei sitze ich gerade in meinem ehemaligen Kinderzimmer. Ich blicke auf meine Spielsachen, auf meine Dinky-Toys-Autos. Aber ich bin jetzt erwachsen.
Die Autos sind noch da?
Ich habe mir Kopien der Spielzeugautos meiner Kindheit in den letzten Monaten über die einschlägigen Plattformen beschafft. Die Originale hatte – so vermute ich seit langem – damals die Stasi mitgenommen, bei einer „konspirativen Wohnungsdurchsuchung“, als wir mal im Sommerurlaub waren. Wenn ich jetzt aber auf meine Autos schaue, bin ich wieder zehn Jahre alt.
Sie wohnen heute im alten Familienhaus. Ist das nicht irgendwie auch komisch?
Im Gegenteil. Das Haus schenkt mir Zufriedenheit, Glück und Geborgenheit. Ich habe immer gern zuhause gewohnt, wollte eigentlich nie weg und bin erst mit Mitte 20 ausgezogen. Und auch danach war ich fast täglich bei meinen Eltern, obwohl ich anderswo wohnte. Vor 20 Jahren konnte ich mein Elternhaus kaufen und kehrte wieder zurück.
Pläne, Ziele?
Mit dem Orchester durchleben wir gerade eine Revolution. Meine Tochter Rachel ist seit einigen Jahren Sängerin bei uns. Mein Sohn David, der bereits seit längerem der Sänger und Schlagzeuger der Band ist und ein weit größeres musikalisches Talent besitzt als sein Vater, hat sich jüngst aber auch noch als ein großartiger Arrangeur entpuppt. Über Jahre haben wir die Arrangements berühmter amerikanischer Swingorchester notengetreu nachgespielt. Dank David geben wir jetzt unserem Orchester einen eigenen Sound. Damit können wir jedem Lied ein neues, einzigartiges Gewand verleihen. Das ist für uns wirklich eine Revolution.
Text: Mathias Schulze