Pork Pie Texture, 18. Februar, Volksbühne, 19.30 Uhr (2G+), mehr: porkpietexture.hafenton.de; am 11. März sprechen Raimund Müller, T.O. Immisch und von der Heide in der Volksbühne über „Poesie einer Stadt“, www.poesie-einer-stadt.de
In Halle ist er ein Zugereister: Theatertexter, Musiker und Buchautor. Siegfried von der Heide. Am 18. Februar gastiert er mit seiner Band „Pork Pie Texture“ in der Volksbühne. Zudem gibt es zwei neue Bücher über Halle, an denen er beteiligt ist. Wir haben Siegfried von der Heide zum Gespräch gebeten
Sie sind in Niedersachsen aufgewachsen, haben in Hamburg gewohnt und dann hat es Sie 1996 nach Halle verschlagen. Warum?
Nach Halle kam man 1996 wie zu einer Tätowierung, besoffen oder verliebt. Ich war verliebt. Halle hatte einen schlechten Ruf, ein guter Grund hinzugehen. Vorher hatte ich mir Leipzig angesehen, da hätte ich auch nach Hamburg, Eppendorf ziehen können. Nicht interessant. In Halle war viel möglich. Ich konnte ab 1998 mit dem Verein „JuM“ die Hafenstraße – mit dem Rockmobil, 26 Proberäumen, der Rockstation, dem Blauen Karton und einem Tonstudio – aufbauen. Das war lange Zeit eine sehr schöne Arbeit.
Wie haben Sie als „Wessi“ das Aufeinandertreffen von Ost und West erlebt?
Ich muss vorausschicken, dass ich nicht als „Di-Mi-Do“ (Anm. d. Red.: gemeint sind westdeutsche Gastarbeiter, die im Westen wohnen blieben und ihren neuen Arbeitsplätzen im Osten lediglich am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag die Aufwartung machten) mit Buschzulage nach Halle kam. Am schlimmsten empfand ich die Arroganz von denjenigen Westdeutschen, die, meistens aus der zweiten oder dritten Reihe irgendeines Managements oder einer Behörde, hierher kamen und sich benommen haben wie ein Elefant im Porzellanladen. Da gab es die nicht vorhandene Wertschätzung für die Menschen und deren Arbeit, die hier geleistet wurde; Sozialismus hin oder her.
Was hätte man rückblickend anders machen sollen?
Weniger allzu schnelle Anpassung an die „neuen Herren“ gepaart mit Opfer-Gejammer, dafür mehr Selbstbewusstsein. Und kritische Offenheit auf Seiten der Ossis wäre auch schön gewesen. Das sind die Gründe, wegen derer ich das Buch zum Fernsehstudio Halle (1963–1991) geschrieben habe.
Ein Buch über ein Fernsehstudio in Halle?
Es geht darin um die Arbeit unter den Bedingungen wie sie eben waren: 161 Interviews und eine Menge Archivmaterial, dazu die Bilder meines Freundes Jürgen Domes, der dort von 1968 bis 1990 als Kameramann und Photograph arbeitete. Die Menschen haben mit Kreativität unterhaltsame Fernsehsendungen geschaffen. Das ist erzählenswert. Das Buch „Das Klavier am Kran“ erscheint im März im Stekovics-Verlag.
Wie hat sich Halle verändert?
Es ist nicht nur renoviert worden, es ist schicker geworden, hat seinen Charme an vielen Orten eingebüßt. Die Gentrifizierung schreitet unangenehm schnell voran. „Feine-Leute-Viertel“ kann ich nicht gutheißen. Einige wunderbare Inseln des angenehmen Lebens haben sich aber erhalten, jedenfalls für mich. Wo die sind, verrate ich nicht, soweit habe ich die hiesigen Verhaltensweisen übernommen.
Was mögen Sie an Halle? Was nicht?
Ich mag das Understatement. Nicht so protzen wie Leipzig. Was ich bis heute nicht mag, ist das mangelnde Selbstvertrauen. „Warum ich von Hamburg nach Halle gekommen sei?“, werde ich manchmal gefragt. Als ob Hamburg sooo toll wäre! Kleinere Städte wie Halle sind sympathischer, menschlicher, überschaubar und bieten alles, was Mensch braucht – wenn der weiß, wo es zu finden ist. Neugierde ist Pflicht. Dumm finde ich es, wenn Halle unbedingt großstädtisch sein will. Es ist doch wunderbar, dass es in der Innenstadt keinen McDonalds gibt.
Im November 2021 haben Sie zusammen mit T.O. Immisch das Buch „Poesie einer Stadt – Band eins: Im Freien“ (Mitteldeutscher Verlag) herausgebracht.
Wir haben Orte, die wir als urban und liebenswert empfinden, gesammelt. Wir haben sie gemeinsam mit acht Autoren und Photographen, die in prosagraphischen Paarunge zusammen gearbeitet haben, in Text und Bild beschrieben. Das Buch ist in meiner Lieblingsbuchhandlung „Jacobi & Müller“ für 20 Euro zu kaufen.
Was genau machen Sie gerade?
Ich arbeite am zweiten Band von „Poesie einer Stadt“, er wird „Oben und unten“ heißen. Wir haben eine Reihe von Orten ausgewählt, die T.O. Immisch und ich in den nächsten Wochen aufsuchen werden. Wir werden Fotos machen, Informationen zusammentragen. Daneben sammle ich, schon länger, Material zu einer Biographie über Lutz Bolldorf, die zu dessen 70. Geburtstag erscheinen soll. Seit ein paar Wochen wird der Stapel mit Material zum nächsten Stück für Andrea Ummenberger langsam größer. Seit dem 11. Januar arbeite ich wieder als Lehrer für Gitarre und Gesang – das nun schon seit zehn Jahren. Das hält mir finanziell den Rücken frei, es gibt nicht für alles Fördermittel. Seit März 2019 habe ich, nach zwölf Jahren „Laylines“, eine neue Formation. Definitiv gleich wichtig: Ich koche gern für meine Liebsten, faulenze mit unserem Kater: Das ist pure Energiezufuhr. Die Zeit für die Arbeit habe ich, weil ich keine Zeit mit asozialen Medien verschwende.
Was erwartet das Publikum am 18. Februar in der Volksbühne?
„Pork Pie Texture“ hat, wie der Name sagt, die Beschaffenheit einer Fleischpastete. Lecker, saftig, ein bisschen ungesund und nicht für jeden Geschmack. Wir haben uns Songs und Lieder von beispielsweise Tom Waits, Hildegard Knef, Manfred Krug oder Johnny Cash zu eigen gemacht. Das Programm wird in deutschen, englischen und österreichischen Dialekten gesungen. Eine Reihe von Songs habe ich ins Deutsche übertragen, ich mag Textverständlichkeit im Gesang.
„Pork Pie Texture“ sind …
Malte Georgi (Klavier), Rolf Meske (Flöten, Klarinetten, Saxophone) und Albrecht Wiegner (Kontrabass und Akkordeon). Ich singe und spiele akustische und elektrische Gitarren. Einige ernste und weniger ernste Kommentare sind dabei. Wer nicht über sich selbst lachen kann, sollte nicht kommen.
Text: Mathias Schulze