Das Weltreich der Melancholie, 2., 4. und 5. März, WUK Theater Quartier, jeweils 20.30 Uhr, Tickets: www.wuk-theater.de oder www.theater-aggregate.de
Silvio Beck ist Regisseur, Bühnenbildner, Dramaturg und gehört neben der Schauspielerin Astrid Kohlhoff zum Kernteam des freien Theaters Aggregate, das seinen Sitz in Halle hat. Im März wird das wunderbar atmosphärische Stück „Das Weltreich der Melancholie“ im WUK Theater Quartier zu sehen sein. Wir haben Silvio Beck zum Gespräch gebeten
Was hat der Regisseur Silvio Beck in Lockdown-Zeiten gemacht?
Aggregate wurde 2016 gegründet. Von Anfang an ging unser Konzept auf, regional zu arbeiten und überregional aufzutreten. Wir haben bislang acht Produktionen auf die Beine gestellt, davon vier überregional koproduziert. Dann kam Corona. Zwei Produktionen fanden ihr Publikum nur im Stream. Und es gab weitere durch Corona-Maßnahmen bedingte Absagen. Das betraf fast 40 Veranstaltungen in Halle, Leipzig, Dresden, Berlin, Gießen und Heidelberg. Ich war damit beschäftigt, die Situation zu managen und den Mut nicht zu verlieren.
Gab und gibt es Existenzängste?
Ja, die Befürchtung, dass wir unter Umständen nie wieder so freimütig auf der Bühne stehen können, gibt es immer noch. Und wenn wir in der Corona-Zeit keine Förderung erhalten hätten, wären Astrid und ich, wie viele andere, wahrscheinlich im Hartz IV-Bezug gelandet.
Welche Förderungen gab es?
Im ersten Pandemie-Jahr erhielten wir ein Stipendium der Kulturstiftung des Bundes. Dann förderten die Stadt Halle, das Land Sachsen- Anhalt und die Lottostiftung weiterhin konkrete Projekte, plus Koproduktionen aus Sachsen und NRW. Im letzten Jahr konnten wir den Fonds Darstellende Künste von unserem „Melancholie“-Projekt überzeugen. Plötzlich waren wir zusammen mit unserem Kooperationspartner, dem WUK Theater Quartier, sogar in der Lage, ein ganzes Programm zum Themenkreis „Melancholie“ auf dem WUK-Schiff zu realisieren.
Haben Sie also keinen Grund, in die Corona-Klage, wonach Kultur, im Vergleich beispielsweise zur Automobil- Industrie, vernachlässigt wird, einzustimmen?
Die Klage ist nicht mein Ding. Aber ich verstehe Ihre Frage. Um jedoch über das Verhältnis von Kunst, Kapitalismus und Demokratie zu sprechen, bräuchten wir eine Extra-Ausgabe des FRIZZ. Das gäbe sicher viel Stoff für eine Tragikomödie.
Zum Stück „Das Weltreich der Melancholie“: In der Pressemitteilung wird gefragt, ob wir nicht in einer melancholischen Zeit leben. Spontan würde mir eher das Geschrei, die Polarisierung und eine systemimmanente Verblödung und Verrohung als Merkmale der Zeit einfallen. Melancholie hat so etwas Erhabenes …
Anthropologen behaupten, sie sei die älteste Stimmung der Menschheit. Die Trennung von der Natur und das Licht des Bewusstseins werfen lange Schatten. Für mich ist Melancholie auch eine Art Widerstand. Zum Beispiel gegen Zumutungen der Fraktion Optimismus. Sei positiv! Das ist der leere Imperativ des real existierenden Kapitalismus. Wenn ich mir die Aufzählung in Ihrer Frage anschaue, scheint mir, Sie sind ein Melancholiker, der nicht gesteht.
Hm, so gesehen.
Ich vermute, so geht es vielen. Aber eine Partei von Melancholikerinnen wünsche ich mir dennoch lieber nicht. Da ist Kunst schon das stimmigere Terrain. Ich las neulich ein Interview mit Jonathan Frantzen. Er sagt, wir sollten uns eingestehen, dass wir die Klimaziele nicht erreichen und uns darauf einstellen, indem wir Staudämme bauen zum Beispiel. Das ist kein Klima-Skeptizismus, auch kein Fatalismus. Das ist die produktive Stimme der Melancholie, die Illusionen benennt und Widersprüche der Existenz zur Darstellung bringt. Jeder Blick in die Geschichte rechtfertigt diese Position. Daher kann Melancholie kein erhabenes Gefühl sein. Sie steht nicht über den Dingen. Sie hält mich offen und verletzlich, gehört dazu wie das Atmen. Dem wollen wir einen Raum geben. Den Humor haben wir dabei nicht verloren. Die Heiterkeit ist die Schwester der Melancholie.
Die Musik ist wesentlich beim „Weltreich der Melancholie“.
Ja, unbedingt. Auf der Bühne spielt Roger Döring Kontra-Altklarinette und Saxophon. Seinen Sound könnte man als Dark-Jazz bezeichnen. Seine Band „Dictaphone“ ist eine Insiderband bis heute. Er hat Musiker wie Nils Frahm beeinflusst. Dazu kommen Sounds aus dem Off von Bernd Jestram. Er gehört mit seiner Band Tarwater in eine Musikszene, die in den Neunzigern startete und die der englische Musiktheoretiker und Kritiker des Neoliberalismus Mark Fisher als hauntologische Musik bezeichnete. Durch Samples, Loops und Vintage-Elemente, Kombinationen von Digitalem und Analogem, werden Klangräume geschaffen, in denen nicht realisierte Zukünfte durch die Musik geistern.
Woran erkennen Sie, dass ein Stück bereit ist, öffentlich gezeigt zu werden?
Es gibt da so einen Theaterspruch: Der Lappen muss hochgehen. Also der Premierentermin schafft einen produktiven Ausnahmezustand. Alle arbeiten mit viel Kraft darauf hin. Die Spielformen, die Atmosphäre, die Kostüme: Alles verbindet sich in der letzten Probenphase zu etwas, dass es so vorher noch nicht gab. Wir machen ja Stückentwicklungen. Auch die Szenen sind nicht vorgezeichnet, sondern in den Proben entwickelt. Intuitiv merke ich dabei, wenn etwas greift.
Woran arbeiten Sie gerade? Worauf darf sich das Publikum freuen?
Wir starten demnächst mit Laborformaten, beispielsweise für Szenisches Schreiben, Sound und Szenografie. Im Herbst gibt es wieder eine Stückentwicklung, die den Konflikt Mensch und Natur ins Zentrum rückt. Mal sehen, wie weit wir kommen.
Text: Mathias Schulze