Die Krebsmafia, 26. und 27. Mai, WUK Theater Quartier, jeweils 20.30 Uhr, Tickets: www.wuk-theater.de
Der freie Regisseur Helge Schmidt, Jahrgang 1983, vom Hamburger Licht- hof-Theater hat sich mit investigativem Theater einen Namen gemacht. 2019 wurde sein Stück „Cum-Ex-Papers“ mit dem Theaterpreis „Der Faust“ ausgezeichnet. Jetzt kommen Schmidt und sein Team mit dem Stück „Die Krebsmafia“ nach Halle. Mathias Schulze hat bei Helge Schmidt nachgefragt
Hallo, Helge Schmidt, Sie sind in Schwerin geboren, zum Studium nach München gegangen. Sind Sie ein Ossi?
Ja, merkwürdigerweise schon. Ich bin 1983 in Schwerin geboren und 1990 in die Nähe von Ham-burg gezogen, aber dennoch identifiziere ich mich teilweise als Ossi. Der Großteil meiner Familie lebt noch in Schwerin, ich bin regelmäßig da, aber die ersten Erinnerungen sind die einer Ostbiographie.
Beispiele?
Die Selbstverständlichkeit, dass Frauen gearbeitet haben und Kinder in Betreuung waren. Oder Begriffe, die ich noch gelernt habe. Letztlich bin ich dann in meiner neuen Schule so begrüßt worden: „Du bist der erste Ausländer, der fließend deutsch spricht.“
Was reizt Sie an dokumentarischen, investigativen Stücken? Sehen Sie da einen Gegensatz zu literarischen Vorlagen?
Ich möchte gerne mit Haltung und Überzeugung Theater machen, da fällt mir zu „Emilia Galotti“ erst einmal wenig ein. Natürlich kann man die immer gleichen Stoffe neu interpretieren, oft gelingt das auch sehr gut, aber es reproduziert Strukturen der Vergangenheit, weshalb Autorinnen unterrepräsentiert sind, migrantische oder non-binäre Perspektiven fehlen oder auch bestimmte Themen nicht zeitgemäß vorkommen. Und ein Literaturkanon ist auch ausgrenzend – für andere Literatur und für Menschen mit einem an-deren Bildungshintergrund, weil sie woanders herkommen oder keinen Hochschulabschluss haben.
Ihre Arbeit hingegen?
Wir, meine Gruppe und ich, möchten unsere Kunst gerne in den Dienst der Sache stellen. Was treibt uns an? Wo erkennen wir Defizite? Worüber würden wir gerne mehr sprechen? Unser Theater soll ein Forum sein, um über Themen ins Gespräch zu kommen. Die Kunst ist im besten Fall das Vehikel dafür, wobei der Ansatz immer ist, möglichst gutes Theater zu machen. Dokumentarisches Arbeiten bietet die Chance, aktuell zu ar-beiten, Stimmen eine Bühne zu geben und Themen zu platzieren.
Wie kamen Sie zum Stück „Die Krebsmafia“?
Wir haben bereits zwei Stücke mit dem Journalisten Oliver Schröm (ARD-Magazin „Panorama“) und Kollegen und Kolleginnen gemacht: „Cum-Ex Papers – Eine Recherche zum entfesselten Finanzwesen“ und „Tax for free“. Wir wollten diese Zusammenarbeit fortsetzen und gleichzeitig unserem Interesse an der Verbindung von Geld und Gesellschaft treu bleiben. Wo hat der Markt Einfluss auf unser Leben? Wie drückt sich das aus? Das Thema der Krebsmedikamente ist ein starker Kontrast zu den Steuerthemen, die wir davor gemacht haben. Bei letzteren gibt es nur abstrakte Opfer – die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen. Beim Handel mit Krebsmedikamenten, Patenten und Zulassungen sterben Menschen, da gibt es Schicksale – das ist natürlich besonders pervers. Uns interessieren Themen, auf die sich potentielle Wähler und Wählerinnen fast aller Parteien einigen können. Sollte man Steuergeld klauen dürfen? Sollten Gewinnbestrebungen von Pharma-Unternehmen Menschenleben kosten dürfen?
Auf welchen Recherchen basiert das Stück?
liver Schröm und Niklas Schenck haben „Die Krebsmafia“ gemeinsam recherchiert und veröffentlicht, aber das Buch ist wegen eines Rechtsstreits nicht mehr erhältlich. Kurz gesagt: Ein sehr reicher Apotheker hat für ihn lächerliche Beträge eingesetzt, um das Buch, einen Bestseller, vom Markt zu bekommen und den Preis mit den Prozessen so hoch getrieben, dass es sich nicht mehr gelohnt hat, eine Neuauflage zu veröffentlichen. Mit Geld kann man sich keine Urteile kaufen, aber man kann dennoch massiven Einfluss auf rechtsstaatliche Prozesse nehmen, weil sich die Gegenseite beispielsweise die Anwaltskosten oder eigenen Gutachten nicht leisten kann.
Reden wir von einem menschlichen oder von einem systematischen Versagen?
Immer von beidem. Ein System schafft falsche Anreize, und das ist für mich ganz klar die Ursünde, wenn man so will. Es ist falsch, dass Medikamente wie Waren gehandelt werden und deswegen einige Arzneien krass überteuert sind, während niemand mehr Fiebersaft für Kinder herstellen mag. Es ist falsch, dass man Geld damit verdienen kann, wenn man auf die Pleite von Staaten oder auf den Zusammenbruch von Unternehmen wettet. Und zwar besonders, wenn beides durch genügend Kapital zu erzwingen ist. Am Ende stehen aber Menschen, die sich immer auch anders entscheiden können. Aber es gibt eine einfache Frage, die einem hilft das zu verstehen: Würde es anders laufen, wenn man einfach ein paar Menschen austauscht? Dann waren die Personen die Ursache. Wenn es nach Verhaftungen weiterläuft wie zuvor, war es das System.
Texte und Interviews. Wie wird aus dem Ganzen ein theatrales Ereignis?
Das Publikum befindet sich in einem Wartezimmer und ist Teil des Bühnenbildes von Martin Prinoth und Martina Mahlknecht. Wir alle kennen diese Situation, uns alle betrifft das Thema. Die Spieler und Spielerinnen nehmen wechselnde Rollen ein von der Apothekerin über die korrupte Ärztin bis hin zum Krebspatienten, der befürchtet eine Chemotherapie zu bekommen, nur um Kasse zu machen. Es gibt Lieder und auch tatsächlich Lösungsvorschläge. Das Stück ist entertaining, es gibt Live-Musik, man kann auch mal lachen. Das bricht mit der Atmosphäre der Texte und Interviews. Sie werden am Ende schlauer sein und gutes Theater gesehen haben. Das geht.
Text: Mathias Schulze