© Silvio Beck
Wildnis, 15. bis 18. Dezember, WUK Theater Quartier, jeweils 17 und 20.30 Uhr, alle Infos: www.theater-aggregate.de
Mit der Performance „Wildnis“ führt uns das Theater Aggregate aus Halle auf unbekannte Pfade. Grund genug, bei Regisseur Silvio Beck nachzufragen
Hallo, Silvio, was ist das für eine Wildnis, die sich in Ihrer Performance durch die westeuropäische Zivilisation frisst? Freuds „Es“, der Aufstand der Erde gegen den Menschen, die Klimakatastrophe?
Oha, das sind große Perspektiven. Sicher, die Orcas könnte man als aufsässig bezeichnen. Interessant auch die Panik, die ausbricht, wenn plötzlich, wie im letzten Sommer in Berlin geschehen, ein Handyfoto auftaucht, worauf eine angebliche Löwin zu sehen ist, die an einer Tankstelle flaniert. So gibt es mittlerweile sogar Bürgerinitiativen gegen gesetzlich festgeschriebene Rückverwilderungen von Landschaften. Wildnis scheint Ängste auszulösen, trotz Artensterbens. Auch das Unkontrollierbare im Menschen könnte man in diesem Kontext lesen. Der Rest, der sich nicht einholen lässt. Das Ungewisse …
Um pointierter zu fragen: Was erwartet den geneigten Besucher?
Tja, das ist ungewiss! Nein, im Ernst, wer sich mit Wildnis auseinandersetzt, stellt sich irgendwann die Frage, ob allzu verabredetes Theater die hierfür passende Form ist. Wir haben ein paar Module entwickelt in den Bereichen Schauspiel, Sound, Musik, freie Performance, die wir live immer wieder neu mischen werden. Wir provozieren uns auch dahingehend, dass unter Umständen völlig Neues live entstehen kann. Das wäre eigentlich am Schönsten. Das Publikum ist Teil eines öffentlichen Experiments zwischen Erprobtem und Improvisiertem, zwischen loser Verabredung und dem Sprung ins Unbekannte, ein gemeinsamer Gang in unwegsames Gelände. Mal sehen, wie weit wir kommen.
Sie reisen mit Theater Aggregate durch Deutschland, beispielsweise nach Berlin: Reagieren Hauptstädter anders als die Hallenser auf Ihre Produktionen?
Wir spielen hin und wieder in anderen Städten, auch in Berlin. Krasse Differenzen gibt es nicht. Eher Unterschiede in der Bewertung von Themen. Im Frühjahr haben wir „Grace & die Queen“ in Berlin gespielt. Ein Stück über zwei starke Frauen aus der irisch-englischen Geschichte. Da waren einige plötzlich sehr froh, dass wir die darin enthaltene feministische Thematik nicht so politisch korrekt oder „woke“ angegangen sind. Das ist man vor allem in der sogenannten freien Szene eher nicht gewohnt in der Hauptstadt.
Beenden Sie folgenden Satz: „Ich möchte weiterhin in Halle wohnen, weil …
… ich hier Freundschaft und Loyalität erfahre, ich fast jeden Winkel kenne und doch immer wieder erstaunt bin, beispielsweise über die Farben, die Perspektiven, die Atmosphären. Und weil die Stadt zwischen Kultur und Wildnis aufgespannt ist.
Text: Mathias Schulze