Im FRIZZ-Interview zieht Matthias Brenner, der scheidende nt-Intendant, Bilanz. Wichtigste Erkenntnis: „Der Star aller unserer Veranstaltungen war und ist das Publikum.“
Ab der Spielzeit 2023/24 werden Mille Dalsgaard und Mareike Mikat die Leitung der Schauspielsparte übernehmen. Spüren Sie schon einen Abschiedsschmerz?
Abschiedsschmerz würde ich es nicht nennen! Auch wenn ich bedenke, dass ich dann lieb gewordene Reflexe nicht mehr wahrnehmen werde. Ich fand es beispielsweise gut, dass ich im öffentlichen Leben von der Gesellschaft, den Medien, den Menschen nach meiner Meinung in der Funktion als Intendant gefragt wurde. Mein Abschied als Intendant erfolgt auf eigenen Wunsch, und ich bin froh darüber, dass ich mit dieser von mir getroffenen Entscheidung mit Freude auf die vergangenen zwölf Jahre zurückblicken darf.
Haben Sie bereits eine Bilanz gezogen?
Die wichtigste Erkenntnis, die ich gewonnen habe, ist, dass in Halle das Publikum der „Star“ aller unserer Veranstaltungen war und ist. Es ist für mich so wunderbar gewesen, dass ich mir keine Gedanken darüber machen musste, ob ich nicht doch ein- oder zweimal im Jahr, um die Bilanzen der Zuschauerzahlen zu erfüllen, heitere Dinge auf die Bühne bringen müsse. Wenn wir hier ein neues Stück, mit einem eher unbekannten Titel auf die Bühne bringen, dann ist ein großer Stamm an Zuschauern erst mal da und bildet sich eine Meinung – unabhängig vom Urteil der Medien. Und dann stimmen die Zuschauer mit den Füßen ab. Ich musste also nicht unbedingt einen klassischen, heiteren Titel wie „Der Raub der Sabinerinnen“ oder Ähnliches auf die Bühne bringen, um um die Gunst der Zuschauerschaft zu buhlen. Wir können hier ganz in Ruhe und mit vollem Selbstbewusstsein behaupten, dass das „neue theater“ auch neues Theater anbietet.
Das Bilanzieren ist noch nicht beendet.
Zum anderen möchte ich konstatieren, dass es uns mit Ausdauer gelungen ist, ein wirklich künstlerisch hochbegabtes Ensemble über die Jahre in Ruhe aufzubauen, und dass ich auch erlebe, dass viele Zuschauerinnen und Zuschauer eigens wegen bestimmter Schauspielerinnen und Schauspieler in ihr Theater gehen. Ich glaube, das „neue theater“ ist eines der Häuser in Deutschland, bei denen das Publikum das Gefühl hat, dass man im Leben und im Alltag künstlerisch begleitet wird. Das macht mich froh!
Menschen machen Fehler. Welche haben Sie gemacht?
Ich war mir nie ganz sicher, wenn ich mich von Schauspielerinnen und Schauspielern getrennt hatte, ob das nicht doch am Ende ein Fehler war. Das lässt sich, glaube ich, nie bis ins Letzte ergründen. Auch habe ich bitter erfahren müssen, dass ich manchmal Kolleginnen und Kollegen, die ich an mein Haus holen wollte – ob als Schauspielerinnen, Schauspieler oder Regisseurinnen und Regisseure – Hoffnung auf gemeinsame Arbeit, bis hin zu Versprechungen gemacht hatte, die ich am Ende nicht einhalten konnte. Dies sicherlich nicht aus niederen Beweggründen, aber es ist vorgekommen, dass zu viele äußere Umstände am Ende im Weg gestanden. Das muss ich selbstkritisch anerkennen.
Sie sind Ansprechpartner für Ihre Nachfolgerinnen?
Der Dialog mit meinen Nachfolgerinnen stimmt mich vorne und hinten zufrieden. Mit großen Respekt gehen die beiden Frauen an die Geschichte unseres Hauses, an die Zeit meiner Intendanz und die meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter heran. Es ist wunderbar zu erleben, dass sie von diesem geschaffenen Ensemble beeindruckt sind und mit den meisten von ihnen auch eine weitere Zukunft planen.
Wird man Sie weiterhin als Schauspieler in Halle erleben dürfen? Wie sehen die Pläne für die nächsten fünf Jahre aus?
In naher und mittelfristiger Zukunft glaube ich das erst einmal nicht. Erst einmal sollen sich meine Nachfolgerinnen ihr eigenes „Nest“ bauen. Ich will aber Halle auf jeden Fall verbunden bleiben, da ich in dieser Stadt viele Freundschaften aufgebaut habe – auch außerhalb der Branche. So geht es auch meiner Frau – der Schriftstellerin und Schauspielerin Cornelia Heyse. Wir sehen Grund genug, Halle als Wohnstadt (und Berlin dazu) zu behalten. Vor zwölf, dreizehn Jahren habe ich selbst zugunsten der Intendanz in Halle meine Bühnenkarriere als Schauspieler auf allen möglichen deutschsprachigen Bühnen unterbrochen. Daran würde ich gerne wieder anschließen, wie auch an meine Tätigkeit als Autor, wozu ich in den letzten Jahren einfach nicht gekommen bin. Und auch bei Film und Fernsehen möchte ich weiter mit interessanten Projekten dabei sein.
Sie sind gerade Zeuge einer heftigen Diskussion, die auch die Kulturszene austrägt. Friedensbefürworter sind wohl alle, nur einige unterschreiben das „Manifest für Frieden“, manche nicht. Warum gehören Sie zu den Letztgenannten? Ist die Diskussion verhärtet oder vergiftet?
Die Diskussion ist leider vergiftet, und die Gesellschaft ist, bis zu Familien und Freundschaften hin, tief gespalten. Meiner Meinung nach wurde in dem Manifest eine Schuldumkehr formuliert, die nicht eindeutig Aggressor und Überfallene benennt. Außerdem suggeriert der Text für mich, dass, wenn ich ihn nicht unterzeichne, ich automatisch Befürworter bin, der die kriegerische Auseinandersetzung als einzige Lösung sieht. Allerdings respektiere ich jeden, der diesen Aufruf aus seiner Wahrnehmung heraus unterzeichnet. Eins eint uns alle: Die Sorge um unseren bestehenden Alltag, die Angst vor einem physischen Krieg auch auf unserem Territorium. Als optimistischer Mensch habe ich versucht, mit dem Theater herauszukristallisieren, dass wir zur Auseinandersetzung in unserem Alltag ermutigen, dass wir keinen Dystopien erliegen. Es ging mir um die Manifestation von Hoffnung, um den Glauben an die wirkungsvolle Einmischung jedes Einzelnen in die gesellschaftlichen Abläufe.
Text: Mathias Schulze