„Seid bereit – immer bereit? Jungsein in der DDR“, 29. Juni, WUK-Theaterquartier, 20.30 Uhr, weitere Termine möglich, alle aktuellen Infos: www.juliaraab.de
Mit „Seid bereit – immer bereit? Jungsein in der DDR“, das auch als Klassenzimmervorstellung buchbar ist, haben die Dramaturgin Sandra Bringer und die Figurenspielerin Julia Raab ein besonderes Theaterstück erarbeitet, das im Juni im WUK-Theaterquartier Premiere feiern soll. Wie es dazu kam, verrät Frau Bringer im FRIZZ-Gespräch
Jungsein in der DDR. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?
In unserem Fall ist es eine Fortsetzung eines bestehenden Projekts. Der Impuls kam von der Heinrich-Böll-Stiftung und der zündete sofort. Ich selbst nehme mit dem Stück Abschied von meinem Jungsein (lacht). Nein, Spaß, aber der Fokus liegt zuerst auf Jugend, dann erst auf System, Ideologie, Politik. Was heißt, jung zu sein - in unserem Fall für fünf Menschen, die sehr unterschiedlich sind. Wir erzählen ein fiktives Klassentreffen des Jahrgangs 1985 im Jahr 2020.
Für das Stück kooperieren Sie …
… mit der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt, der Gedenkstätte Roter Ochse und der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt im Rahmen des Förderprogramms #takeaction des Fonds Darstellende Künste.
Sind Sie selbst ein „DDR-Kind“?
Ja. Wir sind eine Ost-West-Vereinigung, was sehr schön ist. Julia kommt aus Hessen, ich bin hier in Schönebeck/Elbe geboren und auf dem Dorf aufgewachsen – ich wurde noch Jung- und Thälmannpionier, habe den Tag der Deutsch- Sowjetischen Freundschaft begangen und für die Demo am 1. Mai Friedenstauben gebastelt. So erlebe ich in diesem Projekt auch meine Kindheit wieder. Neue Infos, zum Beispiel zu Finanz- und Außenpolitik, vor allem aber durch die Erzählungen über Alltagsrepressalien, die meine Interviewpartnerinnen erlebten, rücken meine Vergangenheit auch in neues Licht.
Wie haben Sie die Interviewpartnerinnen gefunden? Welche Geschichten haben die Menschen erzählt?
Jede Begegnung wäre es wert als eigenständiges Werk auf die Bühne gebracht zu werden. Es tut weh, auswählen zu müssen: Weltfestspiele der Jugend, Stasi-Untersuchungshaft, Wohnungssuche, Disko und Hirschhornbeutel, erste Liebe und erste große Verletzungen – so viele Bilder im Kopf …
Die Liste ist noch länger.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby, der aus dem demokratischen Senegal zum Studium nach Halle kam, hat mich mit viel Humor einiges Überraschendes verstehen gelehrt. Außerdem haben wir Shanghai Drenger, Radiomacher und Punk aus Weimar getroffen, der in den 80ern für seine Songtexte von der Stasi inhaftiert wurde. Andere Geschichten sind von Kindern von Stasi-Offizieren, Vertragsarbeiterinnen aus Vietnam, Nazi-Skins und Opfern des geschlossenen Jugendwerkhof Torgau. Oder von Republikflüchtlingen, aber auch von unbehelligt aufgewachsenen DDR-Jugendlichen.
Das alles zu einem Stück zu verarbeiten, klingt ganz schön ambitioniert.
Wir erzählen nicht die eine Geschichte, sondern wir haben viele Quellen verwendet, um fünf Jugendliche zu porträtieren, die es gegeben haben könnte.
Sind im Laufe der Recherche Dinge ans Licht gekommen, die bestimmte Diskurse über die DDR in ein neues Licht rücken?
Mir war beispielsweise gar nicht präsent, dass schon 1984 Botschaften in Berlin und Prag besetzt wurden. Eine Chronologie der Ereignisse von 1971 bis 1989 zu erstellen, war daher erhellend – was da für Staatskredite geflossen sind und wie schon Ende der 70er der internationale Blick dafür gesorgt haben mag, dass es soziale Lockerungen im Kurs der SED, beispielsweise gegenüber Jugendopposition, gab. Anhand der Interviews wurde trotzdem immer deutlich, wie willkürlich das System als „Richter“ auftrat. Es war nicht immer klar, was geahndet wurde und was nicht. Die Stasi war handwerklich von heute her betrachtet ein absurder Beamtenhaufen mit pseudowissenschaftlicher Untermauerung, aber die Spuren in den Biografien sind schmerzhaft, weil da eben ein Individuum an einer grauen Masse gelitten hat.
Ist nach den Recherchen schon ein persönliches Resümee möglich?
Besonders hinsichtlich der Sprache: der Spalt zwischen Gesagtem und Gemeintem. Letztlich gab es viele leere Floskeln und trotzdem so eine Buchstabentreue. Findest du die richtigen Worte, wurdest du erhört. Hast du die Falschen drauf, konnte es brenzlig werden. Ich glaube, das befolgen zu müssen, wirkt bis heute nach.
Haben Sie den Anspruch einer historischen Genauigkeit?
Wir ersetzen nicht, sondern ergänzen den Geschichtsunterricht, auch wenn der in Sachsen-Anhalt an Haupt- und Sekundarschulen mit nur einer Schulstunde pro Woche dringend Aufstockung bräuchte.
Auf welche Ästhetik kann man sich freuen?
Julia ist sowohl Schauspielerin ihrer eigenen Rolle als auch Figurenspielerin. Sie wird Puppen, Objekte und Multimedia animieren, die ihr Gegenüber sein werden. Wir haben für jede Figur individuelle Materialien gefunden, außerdem wird es Mielke und Margot Honecker als Puppenköpfe geben – da darf es auch an der Grenze zur Karikatur schrammen.
Text: Mathias Schulze