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Das letzte Wort in diesem Monat hat die 1980 in Sangerhausen geborene Soziologin und Medienwissenschaftlerin Juliane Uhl. Die Krematoriumsmitarbeiterin auf dem Gertraudenfriedhof hat sich intensiv mit Sterben und Tod beschäftigt. „Man soll dem Tod keine Herrschaft über seine Gedanken geben“ zitiert sie Thomas Mann in ihrem Buch: „Drei Liter Tod – mein Leben im Krematorium“. Aber der Tod soll auch nicht verdrängt werden, denn irgendwann kommt er in jedes Haus, lautet ihre Botschaft. Juliane Uhl findet, dass ein Leben, das man vom Ende her zu sehen versteht, konzentrierter und klarer ist. Der Tod sei nämlich nicht nur ein zu lösendes Problem.
Frau Uhl, bitte vollenden Sie diesen Satz: an Halle hat mich in letzter Zeit besonders aufgeregt, dass …
… der Mietvertrag der Waisenbuchhandlung gekündigt wurde. Ich habe gern dort eingekauft und bedaure, dass ein solch geschichtsträchtiger Ort verschwindet. Mich ärgert daran auch sehr, dass der Laden „verjüngt“ werden soll, obwohl er gut lief. Ich befürchte, dass das neue Konzept dann eher auf hipper Oberflächlichkeit, als auf themenbezogener Tiefe beruht.
Was muss sich ändern?
Der Umgangston und die Einbildung, dass man die Wahrheit für sich gepachtet hat. Ich stelle fest, dass gerade online der Ton inzwischen sehr rau ist und dass sachliche Diskussionen immer schwerer zu bewerkstelligen sind. Außerdem stört mich, dass manche Menschen meinen, die absolute Wahrheit gefunden zu haben. Wer sich anderen Argumenten verschließt, wird zum Ideologen. Und davon scheint es immer mehr zu geben, egal, in welchem Lager die sitzen. Grundsätzlich sollten wir auch davon weg, uns in Lager, Richtungen aufzuspalten. Wir sollten offen und freundlich, ehrlich und kritikfähig bleiben.
Welcher Ort in der Stadt ist ihnen der Liebste?
Ohne Zweifel mein Zuhause am Stadtrand. Dann noch der Kaffeeschuppen. Ich sitze aber auch gern einfach auf irgendwelchen Bänken und schaue mir die Menschen an. Dann denke ich darüber nach, wie sie wohl leben, ob sie glücklich sind. Am liebsten bin ich jedoch gar nicht an einem Ort, sondern fahre mit dem Rad durch die Stadt und schaue mir die Menschen und Ecken an.
An welchen Ort in der Stadt würden Sie Besuch von außerhalb indes nie führen?
Ich denke, an alle typischen Touristenorte. Die kann mein Besuch auch allein entdecken. Es gibt aber Orte, von denen glaube ich, dass sie nicht schön sind, obwohl ich noch nie da war. Gegenden in Neustadt oder die Silberhöhe. Aber genau deswegen will ich gern hin und mich dort umsehen, auch mit Besuch. Genau dahin, wo es vermeintlich weh tut. Ich stehe nicht auf potemkinsche Dörfer.
Welche Pläne und Visionen haben Sie für die Zukunft?
Um ehrlich zu sein, im Moment gar keine. Die Heftigkeit mit der gerade, mal sachlich, meist emotional, um diese Zukunft gestritten wird, mit der sich die Menschen in Lager aufspalten, macht mir einfach nur Sorgen. Und mit diesen plant es sich schlecht. Na ja, und dann bin ich gerade an der Schwelle zur 40 und ich stelle viel in Frage: Was tue ich? Wie lebe ich? Soll das alles gewesen sein? Typische Midlife-Crisis-Fragen, mit denen ich mich schon eine ganze Weile herumschlage. Ich würde gern ein neues Buch schreiben, aber es ist schwer, nach dem Tod ein Thema zu finden, dass so tief geht. Aber ich bin da etwas auf der Spur, das mich sehr interessiert: Freiheit.
Text: Annett Krake