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Das letzte Wort in diesem Monat haben wir Jacquelin Gottschalk erteilt. Zusammen mit ihrem Team ermöglicht es die Leiterin der einzigen Tafel in Halle, dass täglich etwa 110 bedürftige Hallenserinnen und Hallenser selbstbestimmt einkaufen können. Frau Gottschalk arbeitet also da, wo die Lücke in der Gesellschaft am weitesten klafft und die sozialen Unterschiede am Sichtbarsten werden. Und doch hat die hallesche Tafel einen täglichen Notstand an Waren. Und das, sagt Frau Gottschalk, obwohl nach wie vor viel zu viele Lebensmittel weggeworfen würden
Hallo, Frau Gottschalk, wenn Sie in diesen Tagen an Halle denken, welches Kompliment würden Sie der Stadt und/oder ihren Bewohnern machen?
Ich danke hier ganz besonders den Hallenserinnen und Hallensern, die sich Gedanken um ihre Mitmenschen machen und helfen. Ich ziehe meinen Hut vor allen, die sich ehrenamtlich betätigen, egal ob bei der Tafel oder bei anderen Einrichtungen – das ist tatsächlich gelebte gesellschaftliche Verantwortung. Ohne meine ehrenamtlichen Mitarbeiter könnte ich das alltägliche Geschäft nicht leisten, ich müsste Bedürftige mit leeren Händen wegschicken. Ein ganz großes Kompliment gebührt an dieser Stelle aber auch all denen, die mit einem gefüllten Einkaufsbeutel durch halb Halle fahren, um die eingekauften Waren bei uns abzuliefern – wenn ich das erlebe, dann bin ich jedes Mal tief gerührt.
Und welchen Tadel würden Sie der Stadt aussprechen?
Ganz klar: Die dringende Hilfe an der Basis. In Not geratene Menschen aller Art müssten mehr in den gesellschaftlichen Focus rücken. Das mag in Zeiten, in denen so viele Spendengelder akquiriert wurden und immer noch werden nicht plausibel klingen, aber bei uns kommt davon nichts an. Ich würde mir wünschen, dass an Einrichtungen wie der Tafel mehr Interesse gezeigt würde – städtisch, politisch und gesellschaftlich.
Was glauben Sie, welche drei Dinge werden nach Corona in Halle anders sein?
Ich glaube, es wird kein „nach Corona“ geben. Wir müssen mit den Virusvarianten leben. Aber wenn ich drei Dinge benennen sollte, dann diese: Erstens, das Stadtbild wird verändert sein, ich denke da nur an die bevorstehende Schließung von Kaufhof. Zweitens, Freundschaften und Beziehungen haben sich konträr entwickelt, weil es unterschiedliche Meinungen zur Corona-Politik gibt. Und drittens: Corona, was ist das? Es ist Krieg!
Und welchen Kulturtipp in oder aus Halle würden Sie unbedingt empfehlen?
In diesen Zeiten wird einem noch einmal bewusst, wie gut es den meisten Menschen geht und dass das Jammern auf hohem Niveau überdacht werden sollte. Meine ukrainischen Tafelkunden stehen ab 6 Uhr morgens vor unserer Tür, obwohl wir erst um 9 Uhr öffnen. Da wird auch offensichtlich, dass Kunst und Kultur belanglos sind, wenn es um die pure Existenz geht. Aber dennoch, ich bin wirklich sehr gern auf der Peißnitz, der Rabeninsel und im Zoo, die Grünflächen bieten ein Angebot an Freizeitmöglichkeiten, das für jedermann zugänglich ist.
So, und jetzt wirklich: Ihr letztes Wort lautet:
Geben ist seliger als nehmen!
Text: Annett Krake