Das letzte Wort für den Juli haben wir der Literaturwissenschaftlerin und MDR-Radio-Journalistin, Katrin Schumacher, übergeben. Seit 2009 ist die 1974 in Lemgo Geborene Leiterin der Literaturredaktion von MDR Kultur, nicht ohne auch selbst literarisch tätig zu sein. Zuletzt erschien von ihr das Buch „Füchse“ im Verlag Matthes & Seitz in Berlin
Hallo, Katrin Schumacher, wenn Sie in diesen Tagen an Halle denken, welches Kompliment würden Sie der Stadt und/oder deren Bewohnern machen?
Halle funkelt. Diesen Satz habe ich vor 16 Jahren geschenkt bekommen, an meinem ersten Abend in dieser neuen Stadt, die mir – ich geb’ es zu – viel zu leer und zu leise war. Halle funkelt. Ich hab’ sofort verstanden, was die Bildhauerin meinte, als sie diesen Satz sagte. Wir saßen draußen an einem der ersten wärmeren Frühlingsabende, bestellten im ‚ZweiZimmerKücheBar‘ Wein um Wein und hatten in den Stunden davor von diesem Funkeln schon so einiges gekostet. Party im Hof, Ausstellungseröffnung. Klar, Leipzig leuchtet, Berlin glänzt, Hamburg, woher ich damals kam war gerade gleißend – aber: Halle funkelt. Überall, dachte ich, sind ja Leute, die irgendwas improvisieren, das Leben oder das Feiern, irgendwas, aber hier passiert was. Und hinter jeder Ecke könnte man selbst hineingezogen werden. Halle, das habe ich sehr schnell gemerkt, ist eine Stadt der Kontingenz, der Möglichkeiten, des Zufalls. Nichts muss, aber kann. Sobald man offen ist für den Zufall und die Möglichkeiten, eben, für das Funkeln, lässt sich bemerken, dass die graue Diva ganz schön viele Pailletten am Pullover trägt.
Und welchen Tadel würden Sie ihr aussprechen?
Wie wär‘s mit ein bisschen mehr Halle Pride? Und bitte das Herz der Stadt wieder schlagen lassen. Dieser Marktplatz mit den kaputten heißen Steinen, dem Leerstand, den hilflosen Kastenbegrünungen? Unter dem Pflaster liegt der Garten und überall ist Wohnraum. Da fehlen mir die Visionen.
Sehen Sie Dinge, die sich durch Corona nachhaltig verändert haben?
Die Warmwasserduschen im Freibad Saline werden wohl nie mehr in Gang gesetzt werden, erst war Corona das Argument, dann die Energiekrise. Aber die Duschen habe ich schon längst verlernt zu vermissen, alles gut.
Welchen Kulturtipp in oder aus Halle würden Sie unbedingt empfehlen?
Immer und fast jeden Abend um 19 Uhr lohnt der Gang ins Literaturhaus. Das gibt’s jetzt seit fünf Jahren und ich frage mich immer wieder, wo diese ganze Energie vorher gesteckt hat. Lesungen, Filme, gute Gespräche, Kunst und Klatsch und Quatsch, immer treffen sich da lustige Leute und tolle Gäste. Und ein paar hundert Meter die Straße runter da gibt’s ja noch das „Format“. Halle hat eine der letzten Programmvideotheken Deutschlands, den Format-Filmkunstverleih, und der ist herrlich sortiert.
So, und jetzt wirklich: Ihr letztes Wort!
Da schieb’ ich mal das letzte Buch vor, das mich begeistert hat: „Wasserzeiten“ von Kristine Bilkau. Wie war das noch bei D. H. Lawrence? „Wasser ist H2O, zwei Teile Wasserstoff, ein Teil Sauerstoff. Aber da ist noch etwas Drittes, das erst macht es zu Wasser, und niemand weiß, was dieses Etwas ist.“ Kristine Bilkau ist diesem Etwas mit der Gabe der literarischen Beobachtung ziemlich nahegekommen. Ahoi!
Text: Annett Krake