Geneigte Leser*,
aschfahl, depressiv und ohne Illusionen – seit einem Jahr taumeln wir als Geißeln durch die türlosen Hallen der Pandemie. Irre geworden im Lockdown- Jo-Jo. Doch Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn wir nicht auch damit locker fertig würden. Stark, effizient, innovativ. Wer sind wir denn?! Und deshalb ist jetzt die Rettung nah: Seit 5.45 Uhr wird zurückgeimpft! Oder wie es ihre Inzidenz Kaiserin Angela I. in ihrer großen Durchhalte-Rede an die Nation sagte: „Ab sofort gilt: Impfen, impfen, impfen!“ Ja ja, das ist wirklich schön zu sehen: Nachdem Deutschland – Stichwort Tech-Riesen, E-Mobilität oder Digitalisierung – in den letzten Jahren so ziemlich jede große Innovation verpennt hat, ist es in der Corona- Krise zu alter, strahlender Größe zurückgekehrt. Mit stringentem Krisen- Management, sehr logischen Eindämmungsmaßnahmen und vor allem einer klaren Kommunikation gilt Deutschland nun schon seit einem Jahr als beispielgebend im Umgang mit der Pandemie. Und jetzt der neueste Coup: „Impfen, impfen, impfen!“, sagt Mutti. Das wäre für sich genommen schon genial, wenn wir genügend Impfstoffe hätten. Haben wir aber nicht. Stand angeblich nicht auf dem Einkaufszettel, sagt Mutti. Wahrscheinlich aber hat sie ihn vor Netto verloren. Na ja.
Jetzt also die neue Strategie. Und die setzt voll auf Abschreckung. Man stelle sich ein gewöhnliches Corona-Virus vor, wie es da gerade noch gemütlich in der Blutbahn chillt, als plötzlich ein Herr Doktor mit fieser Spritze im Anschlag herantritt. Das genügt. Panisch reißt das Virus seine Anker in die Höhe, ergibt und lässt sich widerstandslos festnehmen. Wirksamkeit dieses Vakzins: 100 Prozent. Und was lernen wir nun daraus? Für den Impferfolg ist es offenbar völlig unerheblich, ob sich in der Spritze Beck’s Lemon, Veltins Energy oder Astra Zeneca befindet. Das haben unabhängige Wissenschaftler von der Internet-Universität bestätigt. Ich öffne mir jetzt noch ein Astra Zeneca, sage „Sehr zum Wohl“ und bis zum nächsten Mal.
Eike Käubler